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«Wandzeitung» vom 11.3.2018:

Gedanken über die Sterblichkeit:

Wenn mein Ende nicht mehr weit ist ...

"Wenn mein Ende nicht mehr weit ist, ist der Anfang schon gemacht, weil's dann keine Kleinigkeit ist, ob die Zeit vertane Zeit ist, die man mit sich zugebracht." Diese Worte vom deutschen Liedermacher Konstantin Wecker gehen mir des öfteren durch den Kopf, seit ich vor kurzem meinen 65. Geburtstag feiern durfte. Mir scheint, dass ich diesen Zeilen bedrohlich nahe gerückt bin. Natürlich ist mir die statistische Aussage bekannt, dass ich noch einige Jährchen zu leben habe – aber betrügt man sich nicht selbst, wenn man sich zu sehr an die Statistik klammert? Für jemanden, der mit 35 stirbt, hat die Statistik, wonach ihm noch 40 oder 45 Jahre zum Leben bleiben, offensichtlich nicht gestimmt. Und selbst für meine betagten Eltern, die 88 und 89 Jahre alt sind kommt der Tod viel zu früh. Sie möchten noch 90 oder älter werden.

Es hat also wenig Sinn zu sagen, ich trete statistisch in mein letztes Lebens-Fünftel ein und habe noch so und so viele Jahre zu leben. Man sollte lernen, so zu leben, als würde es einen schon morgen erwischen. Auch ich mache mir das nicht fortwährend bewusst, aber wenn ich – was ja in jeder Familie vorkommt – nach einem Streit aus dem Haus gehe, denke ich manchmal schon drei Minuten später: Eigentlich sollte ich jetzt zurückgehen und mich versöhnen. Ich stelle mir dann vor, was wäre, wenn ich nie mehr zurückkäme. Das letzte Bild, das man im Tod voneinander hätte, wäre ein wütendes oder trauriges Gesicht. Früher ist mir das noch öfter passiert, weil ich unbeherrschter war. Heute bemühe ich mich, mit den Menschen, auch wenn ich sie nur für kurze Zeit verlasse, immer vorher im Reinen zu sein.

Selbst beim Einschlafen ist es eigentlich klug, sich vor Augen zu halten, dass man vielleicht nie mehr aufwacht. Es kommt vor, dass Menschen mitten im Schlaf den Herztod erleiden. Man sollte eigentlich jede Stunde so leben, als könne es die letzte sein. Und damit meine ich nicht, dass man andauernd die Sau rauslässt, aus Angst, etwas zu versäumen. Dabei ist mir die besagte Sau durchaus vertraut. Aber ich glaube, wenn ich wüsste, dass ich in 24 Stunden sterben müsste, wäre es nicht mein letzter Wunsch, noch mal fünf Bier zu nehmen oder Sex zu haben. Mein grösstes Bedürfnis wäre es wohl, mit mir selbst und mit einigen Menschen ins Reine zu kommen. Das schreibe ich jetzt als älterer Herr, aber ich würde denselben Rat auch jungen Menschen geben. Das Memento mori ist nichts, was das Leben überschattet oder eintrübt. Der Gedanke an die eigene Sterblichkeit mach es vielmehr noch intensiver.

Ob es ein schönes, ein beseligendes Jenseits gibt? Zu hoffen wär's. Mehr weiss ich leider nicht. Vielleicht wird einem das Reich, in das man hernach eingeht, ja aus jenen Ideen erbaut, die man als Lebender in die Welt gesetzt hat. Ich kann es nicht wissen, aber eines ist sicher: Ideen sind in jedem Fall haltbarer als unser Körper. Vielleicht wäre dies ein Grund, sie etwas ernster zu nehmen, als das derzeit geschieht.


Ludi Fuchs,
11.3.2018, 117. Jahrgang, Nr. 70.

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Standpunkte:

12.3.2018, 20:28 Uhr.

Haymo Empl schrieb:

Es wäre sehr zu hoffen, dass möglichst viele Menschen diese Zeilen von Ludi Fuchs lesen würden. Unsere Welt wäre um einiges friedlicher. Streit - den kanns geben, gefragt ist die Versöhnung, die uns manchmal sehr schwer fällt.


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