Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 11.7.2018:

Noch vor einigen Jahrzehnten galt Anstand als sittliche Grundhaltung:

Bitte Anstand wahren!

Noch vor einigen Jahrzehnten galt Anstand als sittliche Grundhaltung, die sich vor allem in guten Manieren äusserte. Heute ist von solcherart Anstand kaum mehr die Rede. Zu oft sei diese bürgerliche Sekundärtugend in der Geschichte missbraucht worden, um Menschen zu massregeln und zu disziplinieren, heisst es. Bekanntlich bescheinigte sogar SS-Führer Heinrich Himmler den meisten seiner Männer, dass sie bei der Verrichtung ihres mörderischen Tuns anständig geblieben seien.

Für den Schriftsteller Axel Hacke kommt diese Aussage einer Perversion des Begriffs Anstand gleich. Darüber hinaus bedeutet sie eine Beleidigung all jener Autoren, die wie Kästner, Fallada und Camus Anstand als etwas Erstrebenswertes betrachteten, als eine menschliche Grundhaltung, die auf gegenseitigem Respekt beruht.

Dass Hacke jetzt gleich ein ganzes Buch über das Thema Anstand verfasst hat, geschah nicht zufällig. Es war die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, die ihn dazu veranlasste: "Wenn ein so niederträchtiger Mensch in eines der wichtigsten Ämter der Welt gewählt wird, dann werden mit Sicherheit Dinge salonfähig, die es nicht sein sollten, Lüge, Niedertracht, Rassismus, um nur ein paar Beispiele zu nennen." Vielen dürfte noch erinnerlich sein, wie Trump vor einem johlenden Publikum einen körperlich behinderten Journalisten nachäffte. Das mag man als rüpelhaft oder unverschämt bezeichnen. Hacke sieht darin auch ein Anzeichen für den Verlust jeglichen Anstands.

Anstand ist zweifellos ein schillernder Begriff. Mithin sollte jeder, der heute über Anstand redet, zunächst definieren, was er damit meint. Hacke hat dies getan. Er beschreibt Anstand als ein grundsätzliches Gefühl der Solidarität mit anderen Menschen, als ein Streben nach Fairness und Ehrlichkeit in dem Sinn, dass man sich auch dann an Regeln hält, wenn keiner hinguckt.

In den sozialen Medien indes werden die traditionellen Normen des Umgangs miteinander täglich millionenfach verletzt, zumeist unter dem Deckmantel der Anonymität. Offenkundig finden viele Menschen die Vorstellung unerträglich, dass auch andere mit ihren Auffassungen ein wenig Recht haben und zur Wahrheitsfindung beitragen könnten. Häufig mündet diese Haltung in eine Art Fanatismus, wie er ansonsten für religiöse Sekten typisch ist. Immer mehr Menschen suchen heute nach einfachen Wahrheiten in einer komplexer werdenden Welt, wollen in geschlossenen Systemen leben, die ihnen Schutz und Sicherheit bieten. Wer nicht zur eigenen Gruppe beziehungsweise Community gehört, wird ausgegrenzt und bekämpft.

Es trifft sicherlich zu, dass die Begriffe Anstand und Anständigkeit ein etwas verstaubtes Image haben. Gleichwohl wäre es verfehlt, deshalb gänzlich auf sie zu verzichten. Denn das hiesse, vor den Populisten zu kapitulieren, zu deren strategischen Grundsätzen es seit jeher gehört, Begriffe einfach umzudrehen, ihnen so den eigentlichen Sinn zu rauben und sie für den Kampf gegen Wahrheit und Gerechtigkeit nutzbar zu machen.

Hacke hat mit seinem Plädoyer für mehr Anstand in einer Gesellschaft, in der Menschen täglich verbal aufeinander einprügeln, einen Nerv der Zeit getroffen.

 

 


Ludi Fuchs,
11.7.2018, 117. Jahrgang, Nr. 192.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.