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«Wandzeitung» vom 15.2.2018:

Trump und Kim in der Papiersammlung:

Langsame News.

Dass man sich mit Ferien auf dem Land eine wohltuende Distanz zu fast allem verschaffen kann, ist an sich nichts Neues. Aber das Internet ist mittlerweile auch in ganz entlegene Ecken vorgedrungen, so dass man sich ihm nur mit harrschen Methoden und viel Willenskraft entziehen kann. Als Journalist ist der Schritt ins Neuigkeiten-Abseits nochmals schwieriger – aber um so heilsamer. Ein Besuch bei meinem Onkel und seiner Frau auf ihrem Bauernhof in Südfrankreich schuf genial vollendete Tatsachen. Dort gab es zwar Wifi, aber nur in der Küche, im Gästezimmer nicht. Da half auch all mein Kurven um das Haus nichts – selbst im Gemüsegarten direkt hinter der Küche hatte mein Tablet keinen Empfang. Dafür stiess ich bei meinem Rundgang auf eine Kartonschachtel mit Altpapier – einen ganzen Stapel deutschsprachiger Zeitungen aus den vergangenen Monaten. Fasziniert begann ich darin zu wühlen – die Vergangenheit auf Titelseiten zog an mir vorbei: Trumps Herannahmen und seine polternde Einsetzung, Kims weltbedrohende Lausbuben-Raketenstarts, die tödlichen Lastwagen-Rammstösse der Terroristen im "unschuldigen" Europa, der Dreckskrieg in Syrien, die böse Le Pen und der Musterknabe Macron. Dabei wurde mir einmal mehr bewusst, wie wenig mich die vermeintlichen "Breaking News" in Wirklichkeit angehen. Sie zerfielen vor meinen Augen und verwandelten sich in stinkenden Nachrichten-Kompost. Stattdessen begann ich Reiseberichte und Reportagen, Kunstkritiken und Porträts zu lesen, die zwar von der Redaktion in den hinteren Teil der Zeitungen verbannt worden waren, die aber meiner Seele viel näher waren als das so genannte "Weltgeschehen". Die Gedankenströme in meinem Kopf, normalerweise ständigem "News-Beschuss" in Echtzeit ausgesetzt, begannen wieder ruhig zu fliessen. Ich begann die Sprache konzentrierter und genüsslicher wahrzunehmen, wie ein Gourmet, der langsam kaut. Mir wurde klar, dass der Reiz nicht im kompletten Nachrichten-Entzug, sondern lediglich in einem anderen Konsum liegt. "Langsame" News mit einer tieferen Wichtigkeit, die wirklich etwas bedeuten – vielleicht weniger für das Weltgeschehen, dafür mehr für mich persönlich. Ein Reisebericht über Trinidad and Tobago oder eine Reportage über ein Tourismus-Projekt im Kaukasus liessen mich die Reichweite von Raketen und die Anzahl amerikanischer Flugzeugträger im chinesischen Meer vergessen. Achtung: Das ist keine Moralpredigt über das böse Internet und die guten alten Papierzeitungen. Ich selbst habe den Stress auf einer Redaktion in der Zeit vor dem Internet-Boom erlebt. Auch er konnte auf seine Weise stumpfsinnig und "blind" sein. Ich wollte vom Abenteuer erzählen, das sich ereignet, wenn man sich mit einer Schachtel voller alter Zeitungen am Ende der Welt befindet und das Wifi stottert.

 


Eugen von Arb,
15.2.2018, 117. Jahrgang, Nr. 46.

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