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«Wandzeitung» vom 15.6.2018:

Die literarische Notapotheke von Max Frisch ist immer dabei:

Kritischer Landesvater.

Lebt man im Ausland, so beginnt man sich früher oder später mit seiner Heimat auseinanderzusetzen. Man macht sich Gedanken darüber, warum man die Wiege verlassen hat, statt in zu schaukeln wie alle anderen seines Stamms. Hat man sein Land und seine Leute nicht verstanden oder umgekehrt? Was lief verkehrt, dass man am anderen Ende des Erdapfels gelandet ist, bzw. warum war es richtig?

Ein treuer Begleiter bei diesen Gedanken ist für mich Max Frisch. Ich nenne ihn «Landesvater» – ein Titel, der ihm sicher nicht gepasst hätte, so wie er auch den meisten "Landeskindern" nicht gepasst hätte. Schliesslich erhob man ihn nur zur Schulmeister-Ikone, weil man durch seine Anerkennung im Ausland genötigt wurde, nicht etwa weil ihn das Volk liebte. Gleichzeitig verschaffte diese Erhöhung auch den nötigen Abstand vor dem Nestbeschmutzer, der er für viele war. «Eine Schweiz ohne Armee» – «Willhelm Tell für die Schule» – so öppis!

Aber gerade darum ist er mein Schweizer Vater, weil er nicht so stinkbürgerlich war wie mein leiblicher. Ein Mensch, der seinem Land ehrlich ins Gesicht zu schauen versuchte, obwohl dieses ihn zutiefst ablehnte und sich alle Mühe gab, seine merkantil-lächelnde Visage zu bewahren. Frisch war ein Mensch, der diesen Widerspruch erduldete und trotz allem sein Land nicht aufgab.

Frisch ist meine literarische Notapotheke hier in der Fremde, jemand, dem ich alles sagen und klagen kann, ohne mich als sentimentaler Alpöhi zu fühlen. Er ist für mich wie Goethe für viele Deutschen. Ja, ich sage das so. Würde ich ein Schweizer Kultur-Institut gründen, so müsste es Max Frisch-Institut heissen, weil er nicht nur ein grosser Schweizer, sondern gleichzeitig ein Weltbürger war. Er sah in seinem Land nicht mehr und nicht weniger als es war und ist – ehrlich von innen und von aussen. Darum "klebte" er am äussersten Rand seiner Heimat – in Berzona, im Onsernone-Tal, an der italienischen Grenze.

Wie Goethe sagte er zu vielen Situationen einen wahren Satz. Vielleicht habe ich deshalb Goethe immer abgelehnt, weil er für die Schweiz nicht funktioniert. Entschuldigung – für die Deutschschweiz natürlich, denn die anderen Sprachregionen haben sicher ihre eigene Meinung. Aber vielleicht könnte Frisch auch für sie gelten. Er wäre sicher einer der besten Schweizer Kompromisse.

Noch dazu hat Max Frisch ein Schweizer Deutsch geschrieben, das mir gefällt. Er hat seine Herkunft nicht verleugnet, um im grossen Kanton anzukommen. Und gerade dafür liebte man ihn dort, diesen schreibenden "Homo Faber". Seine Sprache und seine Themen sind extrem zeitgenössisch und unvergänglich. Lesen Sie mal seine Tagebücher und probieren Sie die "Fragebögen" an sich selber aus – sie haben nichts an Schärfe und Aktualität eingebüsst.

Das brauche ich, auch wenn es manchmal weh tut, in den Spiegel zu schauen. Vielleicht mildert der Blick aus der Ferne das Urteil über die Heimat, weil man weiss, dass es mindestens zwei oder noch mehr Spiegel gibt. Doch von Zeit zu Zeit brauche ich jenen einen, den mir Max Frisch mit einem Augenzwinken in die Hand drückt – um mich wieder daran zu erinnern, wer ich bin und woher ich komme.


Eugen von Arb,
15.6.2018, 117. Jahrgang, Nr. 166.

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