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«Wandzeitung» vom 16.6.2018:

Leben:

Der Kopf ist rund.

Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann. Das schrieb mir eine Freundin ins Album, in der Primarschule. Ich fand das lustig. Später nicht mehr. Ich merkte, wie schwierig es ist, dem Denken eine andere Richtung zu geben. Es fiel mir auf, wie festgefahren ich bin, wie konservativ, wie ich mich fürchte vor Veränderungen, vor Verlust, vor dem Fortschritt.

Letzthin bereitete ich mich auf den Abstimmungssonntag vor, ich würde ihn im Büro verbringen, so der Plan. Ich sollte einen Live-Ticker bespielen zum Abstimmungsausgang beim Geldspielgesetz. Am Vorabend arbeitete ich mich in die Materie ein, las den Gesetzestext und Medienberichte, informierte mich über die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, die Argumente der verschiedenen Akteure, die Resultate der Abstimmungsumfragen. Es wurde weit nach Mitternacht. Am nächsten Tag, es war sommerlich heisses Badewetter, fuhr ich ins Büro, das sonntags immer ein wenig verlassen wirkt. Oder positiv ausgedrückt: Ruhig, friedlich. Das Telefon läutet nicht ununterbrochen, der Maileingang füllt sich sehr langsam. Eine Wohltat. Zuerst ging ich in die Kantine, einen Latte macchiato holen, dann wollte ich den PC aufstarten und dann mich selber. Denn wenn der Ticker erst einmal online ist, ist Konzentration gefragt. Kein Resultat verpassen, keine Fehler machen, schneller sein als die Konkurrenz. Spielerisch schreiben, abwechslungsreich, mit unterhaltsamen Einschüben, damit die Leute lesen mögen, die frei haben und sich via Mobile zuschalten. Damit es sie reinzieht.

Mit dem Kaffeebecher in der Hand kam ich zurück und sah meinen Kollegen, erahnte die Antwort schon, als ich fragte: Martin, was machst denn Du heute? Er: „Ich mache den Ticker zum Geldspielgesetz.“ Wir waren doppelt eingeteilt für denselben Dienst, einer von beiden war überflüssig. Planungsfehler. Schuld des Dienstplan-Machers. Kann passieren. Ich verzichtete ohne grossen Widerstand, Martin war beim Geldspielgesetz besser up to date als ich. Und die Sonne schien draussen so verlockend, da wollte ich nicht unnötig im klimatisierten Newsroom bleiben. Trotzdem stellte sich augenblicklich eine Leere ein. Ich hatte mich mich auf Stunden intensiver Arbeit eingestellt. War in nervös-vorfreudiger Bereitschaft gewesen. Insbesondere hatte ich nichts geplant für den Sonntag, hatte mich mit niemandem verabredet, hatte keinen Plan.

Es dauert in der Regel nicht lange, bis sich der Mensch auf eine neue Situation einstellt. Aber die Zeit dazwischen, die Zeit des Widerstands, des Festhaltens, der Angst ist so beklemmend, seltsam bedrückend. Natürlich ist ein unerwarteter freier Tag nicht das Schlimmste, was einem widerfahren kann. Doch der Mechanismus ist oft derselbe: Unvorhergesehenes stört die Idylle, ist daher unwillkommen. Der Mensch sehnt sich nach Verlässlichkeit, Stabilität, nach Immergleich. Aber die grössten Chancen sind Situationen, die herausfordern, weiterzukommen, etwas Neues zu machen, aufzuräumen mit Altlasten. Leider sieht man das erst nachträglich so.


Claudia Blumer,
16.6.2018, 117. Jahrgang, Nr. 167.

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