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«Wandzeitung» vom 22.6.2018:

Schwangerschaft:

Mutig oder fahrlässig?

In meinem Freundeskreis erwarten viele Paare ein Kind oder haben gerade eins bekommen. Das Kinderthema ist allgegenwärtig und betrifft nun auch mich. Es ist spannend. Da passiert so viel und ein grosser Teil davon ist ein während Jahrmillionen entstandener natürlicher Vorgang, der einfach seinen Lauf nimmt, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Und ein anderer grosser Teil ist die gesellschaftliche und kulturelle Dimension einer Schwangerschaft. So verläuft eine Schwangerschaft und Geburt heute ganz anders als noch vor wenigen Jahrzehnten.

In der Schweiz werden heute 98 Prozent der Kinder im Krankenhaus zur Welt gebracht. Da bereits meine Eltern im Krankenhaus zur Welt kamen, habe ich dies nie in Frage gestellt. Da war immer die Annahme, dass Mutter und Kind Dank der modernen Medizin und der klinischen Einrichtungen heute viel eher überleben als früher. Dies entspricht wohl auch der Realität. Was dabei jedoch vergessen geht: In den allermeisten Fällen verläuft eine Geburt auch ohne medizinische Eingriffe komplikationsfrei. Eine Nationalfondsstudie kommt zum Schluss, dass Hausgeburten nicht gefährlicher sind, als Spitalgeburten. Zwar müssen bei Erstgebärenden 25 Prozent der Frauen während der Geburt in ein Krankenhaus verlegt werden, doch dieser Entscheid wird in der Regel frühzeitig von der Hebamme gefällt und ist kein Notfallszenario. Umgekehrt bleiben im Krankenhaus nur 8 Prozent der Geburten interventionsfrei. Bei 37 Prozent der Frauen kommt es zu einem Kaiserschnitt. Bei den restlichen 65 Prozent kommen Geburtseinleitungen, Wehenmittel, Päriduralanästhesie oder Saugglocke zum Einsatz. Die meisten Menschen in meinem Bekanntenkreis halten es entweder für fahrlässig oder mutig, zu Hause zu gebären. Alina Bronsky und Denise Wilk schreiben in ihrem Buch „Die Abschaffung der Mutter“, dass es umgekehrt mutig ist, für eine Geburt, die keines ärztlichen Eingreifens bedarf, ins Krankenhaus zu gehen. Ich kenne das Spital aus der Zeit, als mein Vater im Sterben lag. Ich erinnere mich deutlich an ein unbestimmtes Gefühl der Ehrfurcht beim Betreten dieser Institution. Es ist ein emotional aufgeladener Ort. Ein Ort an dem Menschen gerettet werden, tödliche Diagnosen kriegen, sich fürchten, ums Überleben kämpfen, sterben, gebären und geboren werden. Ein spannender Ort, an dem all diese Geschichten und Schicksale zusammenkommen.

Aber ob es der richtige Ort für mich ist, um mein erstes Kind zur Welt zu bringen, weiss ich nicht. Es liegt ja in der Natur der Ärztinnen und Ärzte, dass sie medizinische Probleme beheben. Doch ein Kind zur Welt zu bringen, und vielleicht liegt genau hier der Hund begraben, ist primär kein medizinisches Problem, sondern ein natürlicher Vorgang.


Anita Blumer,
22.6.2018, 117. Jahrgang, Nr. 173.

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