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«Wandzeitung» vom 28.2.2018:

Was ich als Pfarrer am liebsten tue:

Leben würdigen.

Kaum jemand kann sich vorstellen, was ein Pfarrer den lieben langen Tag so tut. Sitzt er die ganze Zeit da und denkt über die nächste Sonntagspredigt nach? Freut er sich schon das Jahr über auf Weihnachten? Gern möchte ich diesbezüglich ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern. Das, was meinen Beruf aus meiner Sicht sehr attraktiv macht, ist die grosse Abwechslung, die ihn kennzeichnet. Kein Tag verläuft wie der andere. Ich sitze selten stundenlang an derselben Arbeit. Die organisatorischen Tätigkeiten am Telefon oder PC werden stets abgelöst von Begegnungen mit Menschen verschiedenen Alters und in unterschiedlichen Situationen: mit Kindern und Jugendlichen im Religionsunterricht, mit Familien bei Taufbesuchen, mit verliebten Paaren bei der Ehevorbereitung, mit Erwachsenen im Bereich kirchlicher Vereins- und Freiwilligenaktivitäten.

Wenn ich gefragt werde, was ich beruflich am liebsten mache, antworte ich meist zum Erstaunen der Gesprächspartner: Trauerfeiern, Beerdigungen. Warum? Weil ich diese Aufgabe als äusserst sinnvoll betrachte. Wenn jemand stirbt, ist das ein ganz dichter lebensgeschichtlicher Moment für die Angehörigen. Sie brauchen Beistand, Nähe, Anteilnahme, sie möchten ihren starken Gefühlen – seien es Trauer, Ohnmacht, Wut oder einfach Wertschätzung für den verstorbenen Menschen – Ausdruck geben. Genau diese Hilfe kann ich professionell leisten und tue es gern. Denn dabei erfahre ich Sinn. Bei Hochzeiten bin ich manchmal nur stilvolle Dekoration für die Fotos. Hier werde ich echt gebraucht und ist mein Beitrag in hohem Mass erwünscht.

Für mich ist eine „Abdankung“ – wie man in der Deutschschweiz sagt – ein kleines Kunstwerk, das ich in einer zeitlich oft gedrängten Frist erschaffen muss. Zuerst erfolgt in der Regel das „Trauergespräch“ mit den Betroffenen. In etwa zwei Stunden intensiven Zuhörens und Fragens versuche ich die Situation dieser Leute wahrzunehmen und die „Lebensmelodie“ der verstorbenen Person herauszuspüren. Das gelingt unterschiedlich gut. Dann lese ich meine Notizen und den von den Nahestehenden formulierten Lebenslauf (falls ich so einen Text bekomme) ein paarmal durch und warte, bis in mir ein Bild entsteht, das dem Geschenk dieses zu verabschiedenden Lebens entspricht. Das ist ein sehr kreativer und intensiver Vorgang. Assoziativ suche ich dazu eine Bibelstelle und andere erzählbare Elemente. Schliesslich drücke ich Dankbarkeit und Hoffnung in Gebets- oder gebetsähnlicher Form aus. Meine Erfahrung: Bei einer Trauerfeier sind die Teilnehmenden ausserordentlich aufmerksam, berührbar und ergriffenen. Das ergibt auch für mich eine ganz eindringliche Atmosphäre.

Was geschieht dabei? Die Sterbeforscherin Monika Renz berichtet von einem Gespräch mit einem betagten, totkranken Mann. „Jetzt habe ich gerade ein bisschen gedöst und geträumt,“ sagt er. „Ich habe mich einem grossen Raum mit einem Stuhl in der Mitte, fast einem Thron, gesehen.“ „Was haben Sie getan?“ „Ich habe mich auf den Thron gesetzt.“ „Und dann?“ „Und dann – ist mein Leben gewürdigt worden.“ Genau darum geht es. Das ist das Schönste in meinem Beruf.


Hugo Gehring,
28.2.2018, 117. Jahrgang, Nr. 59.

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