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«Wandzeitung» vom 17.7.2014:

Gleiches Recht für alle:

Winterthur soll authentisch werden.

In der Altstadt von Winterthur gibt es ein kunterbuntes Haus. Da leben ganz verschiedene Menschen aus der Schweiz und Lateinamerika drin. Die Gästeschar ist noch bunter. Ich habe noch nie auf einem einzigen Fleck so viele offene, lebendige, intelligente und eigenständig denkende Menschen getroffen. In verschiedenen Sprachen wird über Themen wie Politik, Musik, Literatur und Lebensentwürfe diskutiert und philosophiert.

Nachdem die Bewohner dieses Hauses zwei Jahre lang kein Fest mehr veranstaltet hatten, dachten sie vor ein paar Wochen, es sei wieder an der Zeit für eines. Ab 19 Uhr spielten ein paar Musiker etwa zwei Stunden lang, später wurde gegrillt und nebenher etwas getrommelt und getanzt. Nachbarinnen und Nachbarn, die ganze Strasse waren geladen, dem Fest beizuwohnen. Nächtliche Spaziergänger verschiedenen Alters blieben etwas überrascht vor dem Haus stehen und schauten dem Treiben eine Weile wohlwollend und lächelnd zu.

Bei der Polizei aber gingen Lärmklagen ein und die Polizisten, allesamt sehr nett, gaben zu verstehen, dass sie ihres Amtes walten mussten. Die Folge des Vorkommnisses? Ein Mann, der dem Haus und seinen Bewohnern sehr verbunden ist, überlegt sich, einen politischen Vorstoss zu lancieren: An vier, fünf Tagen im Jahr soll man künftig ungestraft vor dem Haus ein Fest machen dürfen.

Da hat das seit über vier Jahrzehnten jährlich wiederkehrende Albanifest einen leichteren Stand. Von Freitag- bis Sonntagnachmittag gehören Lärm, Betrunkene und Abfall zum Stadtbild. Aber natürlich auch fröhliche Gesichter und wunderbare Gerüche. Trotzdem ist anzunehmen, dass die lärmempfindlichen Nachbarn der farbigen Wohngemeinschaft während des Albanifestes jeweils ihre Eigentumswohnung verlassen, um in ruhigere Gefilde zu flüchten.

Es bekümmert mich, dass im heutigen Winterthur die Klagen von Eigentumswohnungs-Besitzern mehr wiegen als das Recht von Menschen, sich mit ihren Gästen auch einmal ausserhalb ihrer Wohngemeinschaft aufzuhalten und zu feiern. Ein politischer Vorstoss ist eine Möglichkeit, ab und zu konsequenzenlos Feste zu feiern, aber ich empfinde diese Alternative auch als Armutszeugnis für unsere Stadt.

Winterthur zählt heute über 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner und gilt deshalb in unserem Land als Grossstadt. Ich pflichte Stadtrat Nicolas Galladé bei, wenn er in seinem letzten «Wandzeitung»-Beitrag schreibt, es ist Zeit zu definieren, was für eine Stadt wir uns wünschen. Winterthur hat sich in den letzten 30 Jahren zu einer vermeintlich offenen Stadt entwickelt. Sie bietet eine grosse kulturelle Vielfalt und einen attraktiven Lebensraum, und in den lichten Monaten ist sie sogar quirlig.

Nun ist es aber an der Zeit, dass Winterthur Farbe bekennt und authentisch wird. Unsere Stadt soll nicht nur augenscheinlich, sondern in ihren Grundfesten eine menschenfreundliche Stadt sein, getragen und geprägt von ihren Bewohnerinnen und Bewohnern. Es wäre erstrebenswert, wenn dies auch ohne entsprechende Gesetzgebungen möglich wäre.

 


Rosmarie Schoop,
17.7.2014, 113. Jahrgang, Nr. 42.

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