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«Wandzeitung» vom 17.8.2014:

Von einem anderen Planeten:

Bin noch nicht so weit.

«Ich bin mir nah und immer wieder fern... Ich wünsche mir Frieden und Gelassenheit», singt die 53-jährige Nena aus Deutschland in ihrem Lied «In meinem Leben».

Bald nehme ich an einem Geburtstagsfest teil: Zwei Freunde, beide wurden dieses Jahr 50, feiern sich im Zürcher «Bogen F». 50. Schon mit 40 hatte ich das Gefühl, eine Ära geht zu Ende. In meinem Herzen bin ich noch wie früher, abenteuerlustig und lebenshungrig. Jemand, der nicht so einfach zu durchschauen ist, dem man bei der Auswertung von Fragebögen in einem Stellenvermittlungsbüro auch schon sagte, ich gäbe atypische Antworten und sei deshalb nicht einzuordnen.

Meine Freunde lachen darüber, wenn sie sich vorstellen, wie ich in einem Vorstellungsgespräch Fragen beantworte. Viel zu ehrlich und unverstellt. Und ja, ich stehe dazu, eigentlich würde ich gerne frei sein und unabhängig, die Welt und die Menchen noch besser kennenlernen, umherreisen, neue Freunde treffen, zurückkommen, alte Freunde wiedersehen, wieder mal etwas arbeiten, in einem netten Team mit einem netten Chef, und dann wieder gehen. Ich lebe jetzt.

Letzthin auf dem Weg nach Hause: Personenunfall im Bahnhof Altstetten. Ein kleines weisses Zelt bei der Lokomotive. Sanitäter und Polizisten auf dem Perron, ernste Gesichter. Die Passagiere im betroffenen Zug noch drin. Sitze im Zug und fahre vorbei. Schon gestern ein Personenunfall beim Bahnhof Stadelhofen. Anscheinend ein beliebter Bahnhof für Selbstmörder. Viele unglückliche Menschen in der Schweiz? Die Selbstmordrate hier sei eine der höchsten der Welt.

Letzthin in Lissabon: Ein Kellner, etwa 45, erzählt mir, er habe vor zwanzig Jahren in der Schweiz gearbeitet, René Felber sei damals Bundespräsident gewesen. Es werde viel gearbeitet in der Schweiz! Da fühle er sich in Portual besser, da nehme man es leichter. Es wundern sich viele Nicht-Einheimische, wie viel und wie ernsthaft in der Schweiz gearbeitet wird. Und wir, die wir hier geboren worden sind, pflichten dem bei und sagen – nicht ohne Stolz –, deshalb sei unser Land das, was es ist: ein sicherer Hafen mit einer breiten Mittelschicht.

Wie gut es doch tut, weg gewesen zu sein und das Leben in der Schweiz in einem anderen Kontext zu sehen. Es gibt verschiedene Lebensformen. Uns mögen befreundete, nicht einheimische Mitmenschen nerven, die ihre Sachen liegen lassen, und in falsche Züge steigen, weil sie in Gedanken sind. Dabei vergessen wir, dass wir weltweit wohl eine Minderheit darstellen. Dass nicht alle so durchorganisiert und effizient sind wie wir.

In der letzten Zeit denke ich wieder einmal oft, ich lebe auf dem falschen Planeten. Vielleicht auch nur im «falschen Land» oder auf dem «falschen Kontinent». Eine deutsche Freundin schrieb mir eine Postkarte: «Du bist nicht allein unter Ausserirdischen!» Ein Trost zu wissen, dass es ähnliche Menschen gibt wie mich. Die ähnlich fühlen und deshalb verstehen.

 

Ich wünsche mir ein Herz, das immer warm ist, ich bin noch nicht so weit. Nenas Worte sprechen mir aus dem Herzen.

 

 

 

 


Rosmarie Schoop,
17.8.2014, 113. Jahrgang, Nr. 73.

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