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«Wandzeitung» vom 26.5.2018:

Vom Leben der Sans-Papiers, Menschen ohne Aufenthaltsrecht:

Ein Leben lang schwarzfahren.

Vor genau vier Jahren schrieb ich meinen ersten Text für die «Wandzeitung». Ich erzählte darin vom Leben von Sans-Papiers, Menschen ohne Aufenthaltsrecht. Menschen, die unsichtbar und dennoch da sind. Oder, wie ich es kürzlich in einem treffenden Text des Slampoeten Simon Chen gelesen habe: „Stell dir vor, du fährst schwarz. Eine Bushaltestelle, zwei, drei, 5 Minuten oder 10, vielleicht sogar eine grössere Strecke im Zug. Dieses Gefühl, jeden Moment kontrolliert werden zu können, dieser Nervenkitzel, wenn du bei jedem, der das Abteil betritt, meinst, das könnte einer sein, der zückt jetzt dann gleich seinen Badge und sagt: „Billetkontrolle, alli Billet vorwiise bitte!“. Stell dir vor, dieses Gefühl hast du permanent, 24 Stunden am Tag, jahrelang, dein ganzes verdammtes papierloses Leben lang!“ So ist das Leben von Sans-Papiers. Und so schildern es mir die Sans-Papiers, die ich in den vergangenen vier Jahren als Vorstandsmitglied der Sans-Papiers-Anlaufstelle kennengelernt habe.

Ebendiesen Menschen wollen Bundespolitikerinnen und Bundespolitiker den Alltag noch ein bisschen schwerer machen. Eine deutliche Mehrheit der Kommission für Gesundheit und Soziales (SGK) des Nationalrats hat eine Motion eingereicht, die massive Verschlechterungen für Sans-Papiers fordert. In Zukunft sollen sie keine Krankenkasse mehr abschliessen können und nur noch im Krankheitsfall in staatlich finanzierten Anlaufstellen behandelt werden. Sans-Papiers werden sich davor hüten, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie damit riskieren, ausgeschafft zu werden. Das hat zur Folge, dass sie sich nicht mehr behandeln lassen. Geradezu sprachlos macht mich die Forderung, dass Lehrpersonen in Zukunft Schulkinder denunzieren müssen. Faktisch wird damit tausenden Sans-Papiers-Kinder ihr Recht, eine Schule zu besuchen, verwehrt. Ein Recht, das in der Verfassung und der UN-Kinderrechtskonvention verankert ist und über der Frage des Aufenthaltsstatus steht. Ohne Not nimmt die Kommissionsmehrheit in Kauf, dass es wieder Kinder in der Schweiz gibt, die nicht eingeschult werden und keinen Zugang zu Bildung haben. Sans-Papiers werden kurzerhand den Grundrechten beraubt. Denn das Recht auf soziale Sicherheit, Zugang zu Bildung und einer Gesundheitsversorgung gilt für alle – ob mit oder ohne gültige Papiere.

Zuversichtlich stimmt mich die breite Allianz, die sich gegen die Motion gebildet hat. Von NGOs wie Kinderrechte Schweiz über die Gewerkschaft vpod bis hin zur kantonalen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz sind sich alle einig, dass die Motion ein gefährlicher und grosser Schritt zurück bedeuten würde. Wie wäre es stattdessen damit: Wir geben Sans-Papiers Papiere, damit sie nicht mehr ihr Leben lang „schwarz fahren“ müssen.

 


Mattea Meyer,
26.5.2018, 117. Jahrgang, Nr. 146.

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