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«Wandzeitung» vom 27.7.2014:

Weder Wilhelm Tell noch Hermann Gessler haben je gelebt:

Habsburger und moderne Vögte.

«Wir haben Grund zum Feiern. Vor 750 Jahren wurde Winterthur das Stadtrecht von Graf Rudolf I. von Habsburg verliehen», verkündet stolz Stadtpräsident Mike Künzle. Die Winterthurer hielten fortan treu zu Habsburg, kämpften an ihrer Seite, beispielsweise in der Schlacht bei Sempach 1386. Historiker Peter Niederhäuser meint: «Die proösterreichische Haltung war vielleicht auch eine Reaktion auf die bedrohliche Nähe von Zürich. Mit dem Übergang an Zürich, so befürchtete der Winterthurer Rat wohl zu Recht, drohte der Verlust der Eigenständigkeit.» 1460 leistete Winterthur der Belagerung durch eidgenössische Truppen erfolgreich Widerstand. Unfreiwillig kam Winterthur 1467 unter zürcherische Hoheit, denn Herzog Sigismund verpfändete die Stadt aus Geldmangel an Zürich. 1967 hätte die 500-jährige Zugehörigkeit zu Zürich gefeiert werden können. Stattdessen war die Rückführung eines Steinblockes Grund zu einer Feier im Stadthaus. Der Stein mit lateinischer Inschrift stammte aus dem Kastell Vitudurum in Oberwinterthur. Er war aus unbekannten Gründen als Baustein ins Münster von Konstanz gelangt. Das Hochleben der Habsburger während des Jubiläumsjahres steht in krassem Gegensatz zu 1.-Augustreden, die die Vertreibung der Habsburger-Vögte als glorreiche Tat feiern. Wir lernten im Geschichtsunterricht, dass der Freiheitsheld Wilhelm Tell den bösen Habsburger Vogt Hermann Gessler erschossen hat. Wer sich in modernen Geschichtsbüchern kundig macht, muss zur Kenntnis nehmen, dass es weder Gessler noch Tell gegeben hat. Tatsächlich waren es die Vögte aus Zürich und der Alten Eidgenossenschaft, die ihr Unwesen in den Untertanengebieten der Zürcher Landschaft, des Thurgaus und in vielen andern Gegenden trieben. Es ist nicht verwunderlich, dass 1798 die Franzosen von den Untertanen als Befreier empfangen wurden.

Das kümmert die rechtsbürgerlichen Redenden nicht. Sie lassen lieber alte Mythen hochleben, als auf die modernen Vögte hinzuweisen. Diese agieren subtiler – die modernen Geldadeligen schieben Lobbyisten vor. In ihrem Solde stehende Politiker erwecken den Eindruck, sich für das Wohl des Volkes einzusetzen, meinen aber ihre eigene Klientel. Ein Beispiel: Die Stadtgärtnerei soll privatisiert werden. Der Gewinn der neuen Arbeitgeber ginge zu Lasten der einfachen Arbeiter, die tiefere Löhne zu akzeptieren hätten. Heute in der Stadtgärtnerei beschäftigte Menschen mit Handicaps müssten künftig durch die Stadt, durch Steuerzahler unterstützt werden. Das gibt wiederum dazu Anlass, generell Sozialhilfebezüger ins Visier zu nehmen und davon abzulenken, dass eigentlich der Steuerbetrug und die Steuerhinterziehung zu bekämpfen wären. Warum wird mit aller Kraft am Bankgeheimnis festgehalten? Ehrliche Steuerzahler haben bei der Aufhebung keine Nachteile zu befürchten.

Es stellen sich noch viele Fragen, die aufgeworfen und beantwortet werden könnten. Warum wehren sich die «Volksmeinungs-Vertreter» gegen die Offenlegung der Parteienfinanzierung? Warum können die hohen Bankbussen, ausgesprochen wegen betrügerischem Verhalten, von den Steuern abgezogen werden? Ich bin sehr gespannt, welche Antworten wir demnächst von den 1.-August-Rednerinnen und -Rednern erhalten werden.

 


Haymo Empl,
27.7.2014, 113. Jahrgang, Nr. 52.

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