Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 16.7.2014:

EIN SATZ.

Von Lappen und Samen.

Hetero macht auch nicht froh. Ralf König.

In sicherer Entfernung von der kleinen, fast gross gewordenen Stadt, die wir alle gut kennen, residieren die Herren B. Der eine mit längerem Namen etwas weiter weg, nur durch den Albis vom andern Ufer des Zürichsees getrennt. Jener, der den Kürzeren gezogen hat, direkt über dem diesseitigen Ufer an der Goldküste. Nennen wir sie der Einfachheit halber den Kürzeren und den Längeren. Beide sind Tischler von Beruf. Der eine hobelt, dass die Späne fallen. Der andere auch – und zusätzlich an seinem Schrein. Beide wollen die wie ihre Vorfahren in Massen Eingewanderten – beim einen ist die italienische Wurzel noch gut erkennbar – ausschaffen und predigen den Inländervorrang. Mit jeder solchen Verlautbarung wächst bei mir die Inländerabneigung.

Der Kürzere sagt glücklicherweise gerade nichts, der Längere zu viel. Oder zu falsch. Aber da sind beide im gleichen Spital krank. Der Längere hat aktuell ein Problem mit verkehrten Hirnlappen. Selbstverständlich nicht mit den eigenen. Sondern mit jenen der gleichgeschlechtlichen Paare, denen er unterstellt, ihre Hirnlappen würden «verkehrt laufen». Und bringt den Kürzeren und seine Untertanen damit in Bedrängnis. Nur mein Freund stimmt ihm zu, bei uns sei es so und das wäre gut so.

Nicht was mein Freund, jedoch was der Längere vom andern Ufer sagt, geht mir – nicht an den Hirnlappen, sondern an einem andern Organ, dessen Anfangsbuchstabe sich weiter vorne im Alphabet befindet – vorbei. Aber die Empörungskultur gebietet eine geharnischte Stellungnahme. Unter einem Sturm der Entrüstung geht nichts. Das Sommerloch trägt das Seinige dazu bei, dass die Wellen an diesem und am andern Ufer hochschlagen und die Geschichte am Köcheln gehalten wird. In einem der fliegenden Blätter vom letzten Sonntag kam der Längere ein halbes Dutzend Mal vor. Vermutlich einziges Thema an der Redaktionssitzung. Oder, falls doch nicht, das einzige, was den Schreibern in ihren Hirnlappen haften blieb.

Gut, ich bin schon ein bisschen entrüstet. Sprachästhetisch. Der Sommer 2014 geht in die Annalen als jener ein, in welchem die Hirnlappen laufen lernten. Und in welchem die Rentierwanderung die politische Agenda Helvetiens bestimmte. Aber da gab es auch schon dümmere Sommer.

Der eigentliche Kernpunkt der Kritik, der in der Debatte völlig vergessen ging, war jedoch die klar menschenverachtende Verwendung des Begriffs Lappen anstelle von Samen. Letzterer schliesst übrigens den Kreis zum Thema zumindest der männlichen Homosexualität. Wo der Längere noch politisch korrekt von gleichgeschlechtlichen Paaren sprach, rutschte er beim Begriff Hirnlappen völlig aus. Nicht nur, dass er einen abwertenden Begriff für eine Volksgruppe verwendet, er unterstellt mittelbar auch Teilen derselben, dass sie kein Hirn hätten. Etwas, das einen wutentbrannt behaupten lassen müsste, der Versuch eines schwulen Nationalrats, dem Längeren einen Waschlappen zu schenken, sei Wasser in den Zürichsee getragen.

Aber soweit hinaus will ich nicht schwimmen.

 


Adrian Ramsauer,
16.7.2014, 113. Jahrgang, Nr. 41.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.