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«Wandzeitung» vom 16.10.2014:

EIN SATZ:

Abgeblitzt.

Gerichtsberichterstattung ist Glückssache. Unbekannt.

Dicke Luft in der Redaktionsstube bzw. im Newsroom. Feuilleton und Sport sind beim Kopfblatt zentralisiert. Beim ersten ist das nicht weiter schlimm: Wer das Feuilleton liest, ist selber schuld, und wer dort schreibt a) auch und b) nicht von dieser Welt. Der Sport hingegen ist der soziale Brennpunkt. Das Verständnis für jene, die uns die Welt der rollenden Bälle nahe bringen, ist deutlich höher als für jene, die Coelho nicht für einen brasilianischen Fussballspieler halten. Was nicht heisst, dass sie von ihm viel halten müssen, geschweige denn er je selbst einen Ball gehalten hat. Aber das ist ein anderes, langweiligeres Kapitel.

Was sollen wir denn nun mit den Sportreportern machen? Neben den Klatschjournalisten die einzigen der schreibenden Zunft, welche die breite Masse ansprechen. Gibt es für sie nicht einen Bereich, der sich genauso gut verkauft wie das Sportgeschäft und bei dem die intellektuelle Überforderung nicht auffällt? Natürlich, die Gerichtsberichterstattung. Im Glücksfall ist nicht nur crime allein angesagt, sondern auch noch sex. Und da fliesst dann nicht nur Blut. Und wer könnte darüber pointierter berichten, als wer schon den bruchreifen Sturz eines Skifahrers oder den explosiven Crash eines Formel-1-Boliden mit markigen Worten beschrieben hat. Da werden Urteilsprognosen zu Resultatvorhersagen. Garniert wie üblich mit den ewig gleichen Fachmeinungen. Exakt wie bei der Fussballweltmeisterschaft. Ausser, dass es für den Prozessausgang kein Toto gibt. Noch nicht.

Und wenn dann das Urteil vorliegt, ein weitreichender, existenzieller Entscheid für die Betroffenen, jedenfalls existenzieller und weitreichender als der Sieg einer Sportmannschaft, wo es auch den Nachplatzierten noch gut genug geht. Ein Strafurteil beispielsweise vernichtet eine Existenz, weniger durch die drakonische Strafe als durch die regelmässig nicht erwähnten exorbitanten Kosten und dem sozialen Stigma, die dem Betroffenen eine sichere Position in den vordersten Rängen des Sozialamts sichern. Lakonisch heisst es dann: «abgeblitzt». Beim von mir abonnierten Lokalboulevard habe ich das Wort in der letzten Zeit hunderte Male gelesen.

Da kämpft jemand um sein Recht, vielleicht sogar um etwas Gerechtigkeit, verliert den Prozess, und ist «abgeblitzt». Nichts vom dialektischen Vorgang, beim dem die Richter die Argumente des Abgeblitzten nicht geteilt haben. Kein kritisches Wort dazu, dass aus Systemgründen meist der Staat, wenn er Gegenpartei ist, beim staatlichen Gericht obsiegt. Der Bürger ist «abgeblitzt», hähä. Und ich bin der Gute, der nicht «abgeblitzt» wäre. Und alle die das lesen auch. Bis sie dann selbst einmal vor den Schranken stehen, kämpfen für ihre Sache und abblitzen. So wie man halt ein Fussballmatch verliert.

Eins zu null für die Bärte. Abpfiff.


Adrian Ramsauer,
16.10.2014, 113. Jahrgang, Nr. 133.

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