Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 23.9.2014:

das gedächtnis ist ein merkwürdiges sieb.

fuß vor fuß.

da fuhr ich kürzlich mit dem zug nach bauma, endstation. ich wollte ein paar stunden auf den füßen sein und ins toggenburg hinüber kommen. die gelbe menükarte vor dem bahnhof machte mir den weg über die heiletsegg beliebt, und so ging’s zunächst der töß nach. auf dem flachen uferweg, entlang dem sanften wasserlauf – kommt frau mit hund, guten morgen – ging mir ein lied durch den kopf, vom guten wirt zum goldenen apfel. ich hatte es einst, vor über fünfzig jahren, als praktikant, mit einer klasse eingeübt, und die erste strophe war mir noch vollständig präsent. «bei einem wirte wundermild, da war ich jüngst zu gaste.» beim weitergehen fügte sich auch gleich die zweite strophe an, welche das kulinarische angebot preist, die «süße kost und den frischen schaum». nun führt der weg über einen steg, biegt ab und beginnt als wurzelweglein steil durch das holz aufzusteigen. hier bin ich allein. ein gratweg. lunge und puls bekommen zu tun, aber immer noch läuft mir das lied nach. und siehe da, eine weitere strophe schleicht sich aus der vergessenheit ins bewusstsein hinauf. «es kamen in sein grünes haus viel leichtbeschwingte gäste; sie sprangen frei und hielten schmaus und sangen auf das beste.» staunenswert, wie die bewegung des gehens und atmens die gedanken und auch die erinnerung beflügelt.

von der heiletsegg aus kann ich erstmals die alpen sehen, vom glärnisch bis zu den bernern, und dann geht’s nochmals obsi. bald vereinigt sich mein weg, bisher abseits des gewohnten, mit jenem von gfell aus, und da treffe ich nun auch auf leute, auf eine gruppe deutscher, und ja, sie haben die tafel an ihrem weg gelesen und können mir bestätigen, dass die wirtschaft auf dem hörnli offen hat, auch wenn montag ist. dort oben nun, nach anderthalb stunden wegs, leiste ich mir ein bierlein und einen nussgipfel. nicht gerade die klassische kombination, aber der nussgipfel ist von seltener güte. die älteren leute am nachbartisch reden vom amputierten bein eines gewissen kari und von derlei schicksalsschlägen, was mich die fortsetzung zu fuß umso mehr würdigen lässt. «und fragt’ ich nach der schuldigkeit, da schüttelt er den wipfel.» (das fehlende muss ich zuhause im netz nachschlagen.) sanfter wiesenweg hinüber zur hulftegg, dem eldorado der töfffahrer, dann hinunter bis mühlrüti. da sind die obstbäume schwer beladen. ich spähe nach einem der roten äpfel - ob er wohl sauer und hart ist oder köstlich? und siehe da, mir fällt zu, wie das lied endet: «gesegnet sei er allezeit, von der wurzel bis zum gipfel.»

mühlrüti hat, in der sphäre des klosters fischingen, eine schöne barocke dorfkirche, und da steht auch eine caecilia (mit einem örgeli zu ihren füßen). die übrigen frauen des dorfes zeigen sich nicht, es sei denn mittelbar durch reichen blumenschmuck der gärten und fenster, und so begleiten sie mich, auf und ab, hinüber nach mosnang, inzwischen auf müden beinen und leider auf geteerten wegen, hinab bis bütschwil.


alfred vogel,
23.9.2014, 113. jahrgang, nr. 110.

Artikel als PDF downloaden

Standpunkte:

3.12.2015, 21:48 Uhr.

Aline schrieb:

Liebe Kinder wisst Ihr wo
Fingerhut zu Hause?
Tief im Tal von Acherloo
hat er Herd und Klause.
Geht er, wunderlicher nie
wallte man auf Erden;
sitzt er, staunen Kinn und Knie,
dass sie Nachbarn werden.
Stimmts, Alfred?


Veröffentlichen Sie Ihren

Standpunkt*:

Verbleibende Zeichen: 777 von 777

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.