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«Wandzeitung» vom 21.11.2014:

Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben:

Tod eines Asylanten.

Als Joseph Schmidt, der gefeierte Tenor und Filmschauspieler, anlässlich eines Radiokonzertes am 5.2.1940 in Zürich weilte, da logierte er noch im luxuriösen Hotel Schweizerhof. Mehr als zwei Jahre später quartierte er sich nicht weit davon in einer bescheidenen Pension in der Löwenstrasse ein und brachte, um etwas Bargeld zu bekommen, seine goldene Taschenuhr zum Pfandleiher. Wie war es dazu gekommen?

Nach der Annexion Österreichs flüchtete der als Jude verfolgte Sänger zunächst nach Belgien, im Oktober 1940 nach Südfrankreich. Als er am 20.12.1941 in Nizza mit einem Ausreisevisum nach Kuba das Schiff besteigen wollte, musste er feststellen, dass wegen des Kriegseintritts der USA der zivile Schiffsverkehr eingestellt worden war. Nach mehreren missglückten Versuchen gelang es Schmidt in der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober, illegal die Grenze zur Schweiz zu übertreten und eine Woche lang in Zürich unterzutauchen. Dann erkannte man ihn und wies ihn zur Abklärung des Falles in das Internierungslager Girenbad, in der Gemeinde Hinwil ein.

Am 13. August 1942 war in einem Kreisschreiben des EJPD die Weisung zur Grenzschliessung für alle Zivilflüchtlinge erteilt worden, wobei «Flüchtlinge nur aus Rassegründen, z.B. Juden», nicht als politische Flüchtlinge galten. Schon wenige Monate vor Kriegsbeginn hatte Heinrich Rothmund, der Chef der Fremdenpolizei, darauf hingewiesen, dass es deren Aufgabe sei, «gegen die Überfremdung und ganz besonders gegen die Verjudung der Schweiz» zu kämpfen. Man schätzt, dass über 20 000 Flüchtlinge an den Grenzen abgewiesen oder aus dem Land geschafft wurden; Fluchthelfer wie etwa der Sankt Galler Polizeikommandant Paul Grüninger wurden bestraft und oft erst Jahrzehnte nach ihrem Tod rehabilitiert. Schmidt hatte also Glück, in Girenbad gelandet zu sein.

Freilich äusserte sich auch der Schriftsteller Manès Sperber, der am selben Tag wie Schmidt ins Lager eingerückt war, in seiner Autobiographie nicht sehr positiv über dasselbe: «Wir lagerten auf Stroh, das wir manchmal auf den verschneiten oder verregneten Hof hinaustragen mussten, um es zu lüften. Der Rest war ganz danach: Die Nahrung, die Waschgelegenheiten, die Latrinen im Hof, am schlimmsten aber der auf Geringschätzung, auf brutale Verachtung der Flüchtlinge abgestellte Ton der Soldaten. Rothmund soll anlässlich eines Rapports in einem Lager gesagt haben: «Sollen sie nur auf diesem Stroh dahinvegetieren, bis sie von sich aus wieder gehen wollen. Sie sollen nur sehen, dass die Schweiz kein Paradies ist, und jene entmutigen, die noch zu uns kommen wollen.»

Wegen einer Kehlkopf-und Luftröhrenentzündung vom Lagerarzt ins Zürcher Kantonsspital überwiesen, klagte Schmidt dort über Brustschmerzen, die jedoch von den Ärzten ignoriert wurden. Für geheilt und lagerfähig erklärt, starb er am 16. November 1942, als er sich mit einer Sondererlaubnis im Restaurant Waldegg aufwärmte, im Alter von 38 Jahren an Herzversagen.


Herbert Danzer,
21.11.2014, 113. Jahrgang, Nr. 169.

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