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«Wandzeitung» vom 30.7.2014:

Die Franzosen in Winterthur:

«guete bonjour!»

Am letzten Tag vor meinen Ferien durfte ich die Première des Freilichtspiels «guete bonjour – die Franzosen in Winterthur» besuchen. Das ist eine gute Ergänzung meines Geschichtsunterrichts, der mir seinerzeit nur wenig über die Folgen der französischen Revolution erhellte. Dass auch in Winterthur ein Krieg zwischen Frankreich, Österreich und Russland tobte, geriet fast in Vergessenheit; es zeigt aber, dass wir auch in Europa auf dünnem Eis leben und wie wichtig Gerechtigkeit und steter Interessensausgleich sind: «Liberté, Egalité, Fraternité!» Das Eine geht nicht ohne das Andere, davon bin ich heute mehr denn je überzeugt.

Dem Freilichtspiel sind natürlich bei der Geschichtsvermittlung Grenzen gesetzt. Sein Vorteil ist, dass ein breites und heterogenes Publikum angesprochen wird. Die Frage, wie bei offensichtlichen Ungleichheiten «Egalité» und «Fraternité» zu fördern sind, lassen sich jetzt an der «Wandzeitung» leichter abhandeln. 1803 verpasste Napoleon der Schweiz die Mediationsverfassung – eine Verfassung, die stark zwischen divergierenden Interessen der einzelnen Stände, also Kantone, vermittelte: schon damals ein hartes Stück Vermittlungsarbeit. Von jedem Stand wurden zwei politisch gewichtige Vertreter nach Paris geholt und erst dann wieder zurück in die Heimat gelassen, als das Vertragswerk unterschriftsreif war.

Im heutigen Europa ist das tatsächlich nicht anders: Bilaterale Verhandlungen mit der EU zu führen ist beschwerlich. Aber es sollte gerade der freiheitsverwöhnten Schweiz leichter fallen, die Brüderlichkeit und die Schwesterlichkeit für Europa und die Welt zu denken und zu leben. Wie billig ist da im Gegensatz die Propaganda einiger, tendenziell rechts stehender Kreise, weitere bilaterale Verhandlungen seien nach dem Motto abzulehnen: «Sollen doch die Anderen mit uns verhandeln, aber sicher nicht wir mit ihnen.»

Die politische Kunst besteht darin, nach fairen Möglichkeiten des Interessenausgleichs zu suchen. In der Mediationsverfassung wurde geregelt, dass reiche Kantone mehr Geld für den Zentralstaat abzuliefern hatten, während die armen Kantone mehr Soldaten für die gemeinsame Bundesarmee stellten. Heute hätten wir schweizweit und im Kanton Zürich ein ausgeklügeltes Finanzausgleichssystem. Die Haken aus Winterthurer Sicht liegen indes im Detail: Weshalb sollte gerade das Jahr 2005 zur Bemessung der Ausgleichszahlungen für zentralörtliche Leistungen Winterthurs massgebend sein, wo doch Winterthur seither um rund zehn Prozent gewachsen ist? Weshalb erhielt die Stadt Zürich pro Kopf im Jahr 2012 über 1100 Franken an Finanzausgleich für ihre Zentralität, Winterthur jedoch nur knapp 850 Franken? Sind denn die Köpfe in Zürich tatsächlich auch heute noch so viel schwerer als jene in Winterthur? «Guete bonjour!»

Es bleibt noch Einiges an politischer Arbeit und entsprechende Verhandlungen mit dem Kanton sind beharrlich zu führen. Zwischenzeitlich wäre Winterthur meines Erachtens gut beraten, die Steuern auf ein Niveau festzulegen, das in etwa dem gesamtschweizerischen Durchschnitt der Städte unserer Grösse entspricht – auch das wäre eine Form der «Egalité» und der «Fraternité!»

 


Matthias Gfeller,
30.7.2014, 113. Jahrgang, Nr. 55.

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