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«Wandzeitung» vom 30.12.2014:

Liebesbriefe:

J.

Die Zeit bei Facebook hatte nur einen Zweck, meine Patenkinder zu finden und J. Sie ist die Mutter von zwei Kindern und mein Spiegelbild, äusserlich wie innerlich. Wir haben eine ähnliche Lebensgeschichte, nur dass sie gut 20 Jahre jünger ist als ich. Sie wohnt in dem Land aus dem meine Ahnen kommen, väterlicherseits. Angefangen hatte es mit einer Online-Diskussion zum Thema „Behinderte Kinder abtreiben ja oder nein“. Das Ganze wurde ziemlich heftig und wir kriegten uns in die Wolle. Wir beide waren betroffen von den Ganzen. J bot mir an, dass ich per Privatnachricht schreiben könne und ich nahm das Angebot an. Schnell merkten wir, dass uns noch viel mehr verbindet. Wir tauschten Bilder und staunten über die Äusserlichkeiten.

Seither sind etwa 3 Jahre ins Land gezogen. Fast täglich fliessen Zeichen durch die Kabel. Wir installierten Spype und ich war angenehm überrascht von ihrer warmen Stimme und dem zackigen Dialekt. Leider funktioniert die Verbindung selten, so bleibt es beim Schreiben. In besonderer Erinnerung bleibt mir unser Chat, immer mittwochs zum „Bachelor“. Was haben wir uns amüsiert. Wir haben die Stunde fest in unseren Tagesablauf eingeplant und uns aufs Ablästern gefreut. Abgesehen davon wurden unsere Unterhaltungen immer persönlicher. Da war so ein tiefes Verständnis zwischen uns und diese Sorge umeinander.

Der Wunsch uns zu sehen wuchs rasch. Wir wollten herausfinden, ob wir uns auch live so gut verstehen. Nach einigem her und hin war es letzten Sommer endlich soweit. Mit Kind, Kegel und Mann sind sie angekommen. Und der Funke, der tief innen schon angelegt war sprang sofort über. Es war so schön, J endlich im Arm zu halten! Die Kinder tauten bald auf, auch der sonst so schüchterne Junge. Das Mädchen schloss mich sofort in ihr Herz und nahm mich an die Hand. Die Männer verstanden sich prächtig, auch da gab es Gemeinsamkeiten. Sie ermöglichten uns viel Zeit zusammen und kümmerten sich rührend um die Kids. Besonders mystisch war es beim Kartoffeln ausgraben. J und ich fanden beide je eine identisch grosse Knolle mit einem „Boppel“ dran. Die wurden natürlich im Bild festgehalten. Wie so viele andere schöne Momente. Die Tage vergingen viel zu schnell und der Abschied war Tränenreich. Wer weiss, wann wir uns wiedersehen.

Wenn ich J als Essen beschreiben müsste wäre sie ein leichter Blattsalat und ein Nutella-Brot mit Gummibären. Sie steht mit beiden Beinen auf dem Boden und hat alles fest im Griff. Oft geht sie über ihre Kräfte und lässt sich kaum bremsen. Ihr Temperament ist heiss, wenn sie ihre schüchterne Hülle fallen lässt. Sie wuselt gerne draussen rum, ist total natürlich und Herzensgut. Manchmal rührt sie mich zu Tränen, wenn sie mir liebe Botschaften schickt. Ich vermisse sie jeden Tag, an dem sie nicht an meiner Seite ist. Aber im Innern sind wir zusammen gewachsen und das gibt mir ein gutes Gefühl nie wirklich alleine zu sein. Wenn ich könnte, würde ich sie gleich neben uns einziehen lassen. Dann könnten wir uns noch besser im Alltag unterstützen. Ich liebe sie über alles, weil sie wie eine Schwester ist für mich


Momo Appenzeller,
30.12.2014, 113. Jahrgang, Nr. 208.

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