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«Wandzeitung» vom 28.10.2014:

Touristen statt Fische:

Inselblick.

Nein, diese Kolumne handelt nicht von Meer, Sonne und Wind und vom Blick auf Winterthur aus der Ferne. Der Name der Insel, auf der ich oft meine Ferien verbringe, hat sich mir im ersten Gymi eingeprägt. Einmal lautete die Aufgabe: Ergänze den Satz: «Je vais passer mes vacances à …» Eine Mitschülerin sagte: «Je vais passer mes vacances sur l'Île d'Yeu.» Lehrer: «Was soll das, Gottesinsel?» Schülerin: «Nein, das hat nichts mit dem lieben Gott zu tun. Das schreibt sich Ypsilon, E, U.»

Nach den Ferien erzählte sie vom einfachen Leben ohne elektrisches Licht, ohne fliessendes Wasser. Fast ein halbes Jahrhundert später begegnete ich der Insel in einem Reiseführer wieder. Haupt-attraktionen: Menhire, Dolmen, ein Schloss, ein Hafen für Segelyachten. Eine Wasserleitung und ein dickes Stromkabel verbinden die Insel heute mit dem Festland. Das Glasfaserkabel ist im Bau.

Bei meinem ersten Besuch 1999 hatte gerade die letzte von fünf Fischkonservenfabriken dicht gemacht. Bis dahin war die Fischerei die Lebensgrundlage der Inselbewohnenden gewesen. Der weisse Thonfisch wurde zum Markenzeichen der Insel. Rund zwanzig Bootseigner heuerten Männer an für Expeditionen bis nach Island. Der Fang wurde geteilt: Die Hälfte gehörte dem Eigner, der Rest der Mannschaft.

Frankreich ist Gründungsmitglied der EU. Es dauerte Jahrzehnte, bis Europa auf der Insel ankam. Dann nämlich, als die EU strikte Normen für die Fischerei einführte: Fangquoten und Vorgaben für die Boote: minimale Grösse, Holzrumpf verboten!

Heute gibt es auf der Insel nur noch wenige Boote, die EU-tauglich für die Hochseefischerei sind. Der einzige Fisch-Grosshändler ist berühmt. Er bedient Nobellokale in aller Welt, auch in Zürich, mit Ware aus dem ganzen Nordatlantik. Manche ehemaligen Hochseefischer haben sich winzige Boote angeschafft. Die Küstenfischerei ist nicht von der EU reglementiert. Hummer bringt gutes Geld.

Die Insel lebt vom Tourismus der nobleren Art. Es gibt Hunderte von Ferienhäusern, diskret versteckt hinter Hecken. Mindestens zehn Aren Umschwung muss ein Haus ausserhalb der Kernzonen haben. So will es das Gesetz. Die Preise liegen auf dem Niveau von Paris und Zürich. Junge, einheimische Familien können sich das nicht leisten. Die Gemeinde bemüht sich, den Einheimischen preisgünstiges Bauland zur Verfügung zu stellen. Trotzdem ziehen die Jungen weg. Arbeit gibt es nur in der Hochsaison genügend. Zwischen Allerheiligen und Ostern herrscht tote Hose, nur kurz unterbrochen vom Knallen der Champagner-Korken der Pariser Häuserbesitzer an Weihnachten und Neujahr.

Einen Hauch von Massentourismus bringen Tagesausflügler vom Festland, welche die Insel mit gemieteten Velos erkunden. Das Musée Historial zeigt ein paar Mini-Dioramen aus der 6000-jährigen Geschichte der Insel. Viel gewichtiger sind aber die beiden Räume, die dem Maréchal Pétin gewidmet sind, dem Helden des Ersten Weltkriegs. Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wegen Kollaboration mit den Nazis auf der Insel in Festungshaft gesetzt, bis er starb. Die Alten halten zu ihm. Sonntags geht man zur Messe.


Yvonne Lenzlinger,
28.10.2014, 113. Jahrgang, Nr. 145.

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