Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 29.12.2014:

Es ist absolut keine gute Idee, jedem mürrischen Herrn mit Rollator freundlich in den Bus zu helfen:

Trau schau keinem schrägen Alten!

Nicht jeder alte Mann ist ein böser alter Mann, doch es ist auch nicht jeder Rollator-Stösser ein lieber Kerli. Im Gegenteil, ein Söttiger kann durchaus gemeingefährlich sein, zumindest verbal gegen die Seelen seiner verhassten Mitmenschen: Schon beim Einsteigen unterm wohlgeformten Pilz am Hauptbahnhof – bei strömendem Regen – fällt das von Bitternis und Boshaftigkeit gezeichnete Gesicht des überaus schmuddelig gewandeten Angealterten ohne Feinduft auf, seine ganz im Gegensatz zu stahlenden Augen schier zum Aschgrau erloschenen Gucker suchen hasserfüllt nach einem Opfer. Au ja, die zwei Männer im menschlichen Mittelalter, die soeben in den Bus nach Oberwinterthur gestiegen sind, die sind’s: Sie gehen zur Seite, machen für ihn Platz, helfen ihm in den Bus, führen ihn zum Klappsessel, drücken diesen nach unten, damit das seltsame Männlein höckeln kann, führen sein Gehgerät in seine Hände und treten drei Schritte zurück. Geschafft!

Die beiden gutgelaunten Gutbekannten haben soeben die Mittagszeit im National verbracht, köstliche Figlmüller-Schnitzel und Fritten gegessen, je ein Eindezi-Gläslein kräftigen Roten genossen, ein schmackhaftes Käfeli ohne Gügs getrunken und sich derweil angeregt unterhalten – freundschaftlich. Sie heben soeben an, ihr Gespräch fortzusetzen, da fährt sie der Alte wutschnaubend an: «Was macht ihr eigentlich hier?» Die Frage tönt bedrohlich. Irrritiert gucken sie ihn an, und einer von Beiden fragt: «Wir fahren – wie Sie – mit dem öffentlichen Verkehrsmittel.» – «Es ist zehn nach Zwei! Weshalb seid ihr um diese Zeit nicht an der Arbeit.» – «???» – «Typisch, ihr habt doch nie schaffen gelernt, ihr tut auch jetzt nichts, und das Geld holt ihr sowieso beim Staat ab.» – «Wie kommen Sie auf diese absurde Idee, wir arbeiten Beide und werden auch für unsere Arbeit bezahlt.» – «Chabis!» schreit der Schimpfi durch den Bus, «das sagt ihr so, ihr schaut wirklich nicht so aus, als könntet ihr euer Geld selbst verdienen. Ihr seid Müssiggänger, Tagediebe, Faulenzer!» – «Es ist gut jetzt, danke, danke.» Die beiden grob aus der guten Laune geholten Arbeitskräfte stehen wie angewurzelt und etwas verlegen in der Nähe des Griesgrams, sie würden ganz gern aussteigen. Nach dem Halt beim Stadthaus drückt der Schwarzgewandete von den Beiden erleichtert auf den Knopf: Nächster Halt: Obertor. Noch bevor sie den Bus verlassen, werden sie von mehreren weiblichen wie männlichen Fahrgästen überaus mitfühlend verabschiedet, wenn auch verständlicherweise etwas verlegen: «Auf Wiedersehen. Einen schönen Nachmittag wünschen wir Ihnen. Machen Sie’s gut. Auf ein Andermal.» Allein der schräge Alte schweigt ohne jede Verlegenheit.

Für einen Moment stehen die zwei Abgewatschten auf dem nassen Trottoir, durchaus im doppeldeutigen Niederschlag. Der Schwarzgewandete fragt: «Was war jetzt das?» Sein Begleiter in gediegen beigem Outfit antwortet: «Ich denke, der hielt Dich wohl für einen Künstler und mich als einen gut betuchten Versicherungsheini. Er selbst war gewiss ein Arbeiter, der Leute wie uns als Nichtsnutze hält. Das Essen wiederholen wir mal, aber dann gehen wir auch bei Regen zu Fuss zurück.»


Guido Blumer,
29.12.2014, 113. Jahrgang, Nr. 207.

Artikel als PDF downloaden

Standpunkte:

30.12.2014, 09:46 Uhr.

Roger Rutz. schrieb:

Neid, Missgunst und Wut gehören leider oft, zu oft zum Werdegang älterer Menschen, was zu bedauern ist. Da bleibt nur der Glaube an sich und seine Werte, um vor solchen Entwicklungen gefeit zu sein. Da bleibt mir nur, Euch Gelassenheit, gute Gesundheit und viel Glück im neuen Jahr zu wünschen...


Veröffentlichen Sie Ihren

Standpunkt*:

Verbleibende Zeichen: 777 von 777

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.