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«Wandzeitung» vom 29.9.2014:

Eingesperrt:

Was heisst hier schon komisch sein?

Es ist Donnerstagabend. Die Geschäfte sind geschlossen und die Menschen zur Ruhe gekommen. Gelassen schlendern sie durch die, von rotem Sonnenlicht geflutete Marktgasse. Sanftes raunen. Eine paradiesische Atmosphäre.

In dieses friedliche Bild hopst unbeschwert ein kleiner dicklicher Mann. Auf seiner Brust trägt er stolz ein brasilianisches T-Shirt. Aus voller Kehle singt er zur Musik, die nur er durch seine Kopfhörer hört. Die Töne klingen schrill, sie befremden, sie irritieren, viele finden das sehr komisch.

Hast du ihn gesehen? Die Passanten gaffen verstört. Die einen schmunzeln, andere wenden sich empört ab. Sucht er Aufmerksamkeit? Will er die idyllische Ruhe stören? Ist er ein Egoist? Die meisten entrüsten sich – so viel Gefühl gehört sich einfach nicht öffentlich zur Schau gestellt. Leider bleibt mir der Einblick in die Gedanken der Zuschauer der Szene verwehrt. Ich meine jedoch in vielen Augen, einen Funken Eifersucht über diese Unbeschwertheit zu erkennen. Alle sind sie eilig bestrebt, diesen hinter einem Schleier der Ernsthaftigkeit oder mit einem beschämten Lächeln zu verbergen.

Mehrmals täglich verstecken wir unsere Emotionen hinter vielerlei Hüllen. Bei Traurigkeit, Enttäuschung und anderen negativ besetzten Gefühlen scheint mir das logisch. Man will nicht vor Fremden Schwäche zeigen, macht irgendwie Sinn. Bei positiven Erregungen hingegen, werde ich nicht schlau aus dem Versteckspiel.

Anderes Beispiel, du sitzt im vollbesetzten Zug und liest eine extrem komische Passage in der Zeitung oder erhältst eine SMS, die dich beglückt. Und was tust du? Nicht etwa diesem schönen Gefühl den Platz verschaffen, den es sich allemal verdienen würde. Nein, du drehst dein Kopf zum Fenster und versuchst neutral zu bleiben – so ist es uns anerzogen. Das breite Grinsen muss auch weg, der Mann vis-à-vis beobachtet dich ja schon ganz eigenartig. Kann ich denn diesen Mann mit meinem blossen Lachen wirklich belästigen? Leider bin ich wieder nicht befähigt seine Gedanken lesen zu können. Ich kann nur von mir sprechen. Wäre ich Zeugin eines solchen Momentes, hätte er eine erwärmende, inspirierende Wirkung auf mich.

Wir lassen uns unterjochen von der Angst, jemand könnte etwas Schlechtes denken, wir könnten auffallen. Es ist eine Illusion. Weder können wir mit Sicherheit wissen, dass sie uns für eigenartig halten, noch muss es uns interessieren, ob wir sie mit Freude und Ausgelassenheit irritieren. Und er hüpft und trillert unbekümmert weiter.

Lasst uns weniger Energie darauf verschwenden, roboterähnliche, ausgeglichene Wesen zu sein, werden wir doch lieber eine Gesellschaft in der wir unsere Gefühle auch leben dürfen.


Seline Dubach,
29.9.2014, 113. Jahrgang, Nr. 116.

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