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«Wandzeitung» vom 30.10.2014:

Ich will nicht, dass meine Kinder mal mit dem losen Finger auf mich zeigen:

Das Boot ist schon wieder voll!

Mit Krieg, Tod und Hass rauschte Hitlerdeutschland vor gut 70 Jahren über ganz Europa hinweg, wie ein apokalyptisches Gewitter. Sinnflutartig stürzten sich die Nazis auf die übrigen Völker Europas, fast keiner wurde verschont. Zu den wenigen Glücklichen zählte die Schweiz – eine Arche mitten in einem Meer aus Zerstörung. Doch wie Noah hatte auch der zuständige Bundesrat Von Steiger kein Ohr für die Rufe all jener, die vor den Gräueltaten in die sichere Schweiz fliehen wollten und verzweifelt an die Türen polterten – vergebens. Zu Tausenden wurden Juden und Regimegegner an der Grenze zur Schweiz abgewiesen und in den sicheren Tod entlassen. All das unter dem Vorwand, das Boot sei voll.

Dies war eine dunkle Epoche in der Schweizer Geschichte, die ihr viel Kritik einbrachte. Yvette Z’Graggen hat in einem Buch dieser Epoche den passenden Namen Les années silensieux verpasst. Eine Zeit, die wir lieber totschweigen würden. Eine Zeit, in der die Bevölkerung die Unmenschlichkeit der Schweizer Aussenpolitik ignoriert hat.

Leute wie ich, die nach dieser Zeit geboren wurden, kritisieren dieses Verhalten. Wir zeigen noch so leicht mit dem blossen Finger auf all jene, die nichts unternommen haben im Angesicht dieser Ungerechtigkeit. Doch vor lauter Schuldzuweisung übersehen wir, dass wir einem Spiegel gegenüberstehen. Sind wir so selbstgefällig geworden, dass wir jeden Fehler von anderen noch im Schlaf erkennen doch für unsere eigenen Unzulänglichkeiten blind sind?

Denn vertritt die Schweiz nicht wieder eine ähnliche Politik wie vor 70 Jahren? Schliessen wir nicht wieder die Türen vor der Nase all jener, die durch Hunger und Krieg vertrieben werden und um Einlass bitten? Proklamieren wir nicht erneut, das Boot sei voll? Denn auch wenn die Gesetze andere politische Botschaften haben als dazumal, steht dahinter die gleiche klare Botschaft: Wir wollen sie nicht in unserem Land haben. Denn wir fürchten um unsere hohen Standards. Denn Süchtige sind wir geworden, die nicht teilen wollen. Süchtige getrieben von der Angst, nicht genügend von dem leckeren Nektar des Wohlstands für uns zu haben, der unseren Geist in einer Atmosphäre schweben lässt, fernab von der Realität, die rund um uns herrscht. Diese Angst vor dem Verlust hat uns misstrauisch gegen alles Unbekannte gemacht. Wir sehen im Fremden lieber eine Bedrohung, als eine Möglichkeit uns weiterzuentwickeln.

Doch durch unseren verzweifelten Versuch zu schützen, was wir so lieben, werden wir eines Tages genau das verlieren. Also sollten wir unsere Arche für die Bittsteller öffnen. Denn ich will nicht, dass meine Kinder mal mit dem losen Finger auf mich zeigen und ich mir den gleichen Vorwurf gefallen lassen muss, wie die Generation von 1940.


Basil Dubach,
30.10.2014, 113. Jahrgang, Nr. 147.

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