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«Wandzeitung» vom 24.6.2014:

Erfahrungen im Pflegebereich:

Abschied, die Geburt der Erinnerung.

Als Fachfrau Gesundheit im ersten Ausbildungsjahr habe ich bereits einige Eindrücke gewinnen dürfen und vor allem ganz viel dazu gelernt. Ich arbeite in einem städtischen Alterszentrum und hätte mir keinen besseren Ausbildungsplatz vorstellen können. Vor wenigen Wochen habe ich zum allerersten Mal in meinem Leben die Begegnung mit dem Tod gemacht. Dies hat mich einerseits sehr aufgewühlt, doch anderseits die Möglichkeit dazu gegeben, einmal ein wenig darüber nachzudenken.

Es ist dieser eine Weg, denn wir Menschen vollkommen alleine gehen. Es ist der Weg in das Ungewisse, in eine Welt, von der wir uns lebenden Menschen kein Bild machen können. Es ist dieser eine Weg: der Todesweg.

Man erzählte mir von einer Kälte, von einer Leere, von einem unbeschreiblichen Zustand. Bis vor dieser unglaublichen Begegnung habe ich mir jedoch kein Bild davon machen können. Wie kann es sein, dass man es spüren kann, wie die Seele eines verstorbenen Menschen aus dem Körper entschwunden ist?

Bereits als ich vor dem Zimmer des verstorbenen Bewohners stand, fröstelte ich. Ich betrat das Zimmer dann gemeinsam mit zwei Mitarbeitern, denn ich wollte nicht alleine sein, wenn ich dem Tod zum ersten Mal begegne. Ich nahm einige Atemzüge und folgte dann mit zitternden Händen meinen Teammitgliedern. Ich glaube, man konnte mir meine Unsicherheit in den Augen ansehen. Klein und hilflos fühlte ich mich, als ich dem Senior in das blasse, jedoch sehr entspannte Gesicht blickte.

Das Ohnmachtsgefühl, welches darauf folgte, überwältigte mich so fest, dass ich das Gefühl hatte den Boden unter den Füssen zu verlieren. Doch die weiche, sanfte Stimme meiner Arbeitskollegin holte mich zurück und ich fühlte wieder das Blut durch meine Adern fliessen. Sie hatte ihre Hand auf seine Schulter gelegt und sprach mit ihm, als läge er nur in einem tiefen Schlaf.

Kurz vor Arbeitsende ging ich noch einmal zum Bewohner ins Zimmer, den ich seit Beginn meiner Ausbildung bereits ein wenig ins Herz geschlossen hatte. Auch ich wollte ihm noch meine guten Wünsche auf den Weg mitgeben. Dabei alleine zu sein, war mir wichtig. Wieder fühlte ich, wie der Tod den ganzen Raum eingenommen hatte. Ich legte ebenfalls aus Respekt meine Hand auf seine Schulter, zog sie jedoch sofort wieder zurück, weil mich diese eisige Kälte des Körpers erschreckte. Langsam zog ich mich zurück und flüsterte ihm beim Abschied die besten Wünsche zu.

Ich habe das Gefühl, mit einem einzigen Erlebnis einige Schritte in meinem noch sehr jungen Leben vorwärts gekommen zu sein. Der Tod ist nichts zum Anfassen, man kann ihn nicht sehen, nicht riechen und nicht voraussehen. Der Tod ist genau so gigantisch und verdient genauso viel Respekt wie das Leben.

 


Indira Weber,
24.6.2014, 113. Jahrgang, Nr. 19.

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