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«Wandzeitung» vom 23.7.2015:

«Bist ja gar nicht pessimistisch heute», klagt meine Frau.

Hommage an Robert Walser.

Es ist ein gutes Land. Die Regierenden dort sind kompetent und integer und darauf bedacht, dass ihre Tätigkeit den Bürgern nützt; man kann sich auf ihr Wort verlassen. Dort kommt es nicht vor, dass jemand am Morgen etwas verspricht und sein Versprechen schon am Abend bricht. Nicht Machterhalt ist das höchste Ziel und Versorgung der Funktionäre mit Posten und Pfründen, sondern das Wohl der Bevölkerung. Niemand fragt einen beim Vorstellungsgespräch: «Bei der Partei sind Sie ja eh?» Kein Politiker dort nutzt seine Macht dazu, seine Taschen zu füllen; niemand bereichert sich am Geld der Steuerzahler, keiner streift Schmier- und Bestechungsgelder ein und am Ende seiner politischen Laufbahn ist keiner auf rätselhafte Weise zum Multimillionär geworden.

Freundlich sind dort die Beamten und sie wissen, dass sie nicht Herrscher über devote Bittsteller sind, sondern Diener der Bürgerinnen und Bürger. Nicht ihrer Zugehörigkeit zu den jeweiligen Regierungsparteien verdanken sie ihre Posten, sondern einzig ihren beruflichen Fähigkeiten.

Überhaupt stehen dort den Jungen alle Aufstiegschancen offen, ohne dass ihre soziale Herkunft und die finanzielle Situierung ihrer Eltern eine grosse Rolle spielten. Wer sich als begabt erweist, erhält die Möglichkeit, seine Talente und Fähigkeiten für die Gesellschaft einzusetzen, auch ohne einer gut betuchten Akademikerfamilie zu entstammen. Frauen erhalten dort für gleiche Tätigkeiten die gleiche Bezahlung wie die Männer; auf der Vorstands- und Direktorenebene sind sie ebenso stark vertreten wie diese, und es gibt keine Berufe, die, weil sie «typische Frauenberufe» wären, schlechter bezahlt wären als die der Männer.

Die Unternehmer nützen dort ihre Arbeitnehmer nicht in prekären Arbeitsverhältnissen aus; niemand muss ständig befürchten, in die Zone der Arbeitslosigkeit abzusteigen und damit der gesellschaftlichen Verachtung ausgesetzt zu werden.

Wenn man dort sparen muss, tut man das nicht ausgerechnet im Bereich der Bildung, der Forschung, der Pflege und Betreuung von Kranken. Die staatlichen Gelder werden nicht zur Rettung der Banken verwendet, sondern kommen wieder der Bevölkerung zugute.

Dort werden nicht Milliarden investiert, um noch mehr Strassen und Tunnel zu errichten und damit die Aktionäre korrupter Baufirmen zu füttern, sondern man sorgt sich um die Erhaltung der Umwelt und um ein Leben im Einklang mit der Natur.

Dort spielt nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, einer bestimmten Nation, einer bestimmten Religion, einem bestimmten Geschlecht, einer bestimmten Gesellschaftsschicht eine Rolle, dort beherrscht nicht die Gier nach Geld den Alltag, dort möchte ich leben.

«Ich sehe wohl ein, dass ich phantasiere.» (Robert Walser)

 


Herbert Danzer,
23.7.2015, 114. Jahrgang, Nr. 204.

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