Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 4.7.2015:

EIN SATZ:

Sauglatt.

Bitte während der Fahrt nicht mit dem Chauffeur tanzen. VERKEHRSBETRIEBE BADEN-WETTINGEN

Bitte während der Fahrt nicht mit dem Chauffeur sprechen, prangte innen über der Windschutzscheibe des mehr oder weniger guten alten Schnauzenpostautos meiner Kinderzeit, das vom Thurtal dreimal am Tag über den Seerücken an den Untersee fuhr. Das Email-Schild war wenig wirksam, denn Herr Fleischmann, der Chauffeur, torpedierte die Aufschrift gleich selber, indem er auf der Fahrt mit dem ganzen Wagen einen unablässigen Dialog anzettelte.

Auch die Haltestellen hatten rein deklaratorischen Charakter. Winkte eine alte, mit einer Krenze beladene Frau am Strassenrand, hielt er an und nahm sie mit. Auch uns Kinder gabelte er einmal unterwegs auf, nicht ohne uns auszuschimpfen, die Haltestelle befände sich ganz woanders. Was ihm gleich den Anlass gab, über die heutige Jugend mit den andern Fahrgästen zu disputieren. Selbstverständlich in der hierzulande seit Jahrhunderten gefestigten Tradition, die Jugend werde immer schlechter. Eine Zeitung brauchte man vor fünfzig Jahren nicht, Herr Fleischmann bediente alle mit den neuesten Nachrichten. Und dies zu einer Zeit, als die Zeitungen noch Zeitungen waren und keine abonnierten Gratisblätter. Heute, wo der Chauffeur pensioniert ist und man eine Zeitung bräuchte, gibt es keine mehr. Fast keine jedenfalls, die es sich zu lesen lohnt.

Der alte gelbe Saurer wackelte wie eine Ente, wenn Fleischmann den Dieselmotor in Gang setzte oder abstellte. Der Hybridbus, auf dem das Tanzverbot angeschrieben steht, zischt bloss. Er wackelt nur, wenn er sich dem Fahrgast entgegenneigt, während man zu Herrn Fleischmann standesgemäss hochklettern musste. Und er fährt nicht dreimal am Tag, sondern zweimal pro Stunde. Dafür muss man den Fahrgästen verbieten, mit dem Fahrer zu tanzen.

Oder besser: Die Werbeagentur hat mit vereinter Woman- und Manpower an einem wein- und bierseligen Creative-Weekend das Ei des Kolumbus gelegt und dieses für teures Geld dem Busbetrieb verschachert. Wie häufig bei Creativity bleibt die Konsequenz auf der Strecke. Kaum ist die Fahrt zu Ende, ist genau genommen jedermann legitimiert, den Chauffeur zum Tanz aufzufordern. Die Corporate Identity, welche die Pforten des Service Public eingerannt hat, gebietet Kundenorientierung. Der Wunsch sei also Befehl.

Fleischmann und das Schnauzenpostauto, in dem er thronte, verstanden sich unausgesprochen als Service Public. Die Phrasen der Leitbilder schlummerten noch im göttlichen Dunkel der Vergangenheit. Später wurden sie von der Uni St. Gallen einstweilen für immer geweckt. Sie tragen zur Zeit die Züge der landesweiten Festhütte, zu der die 24-Stunden-Gesellschaft verkommen ist.

Ich bin überzeugt, Fleischmann hätte mit der alten Frau mit der Krenze oder vielleicht dem angehenden Lehrer unterwegs ins Seminar getanzt, hätten sie ihn aufgefordert. Er hätte dazu fern von einer Haltestelle angehalten. Und der gelbe Saurer hätte gewackelt, als Fleischmann den Diesel abstellte. Selbstverständlich an einem Punkt, von dem aus man den Säntis hätte sehen können. Und die Kreispostdirektion weit, weit weg war.


Adrian Ramsauer,
4.7.2015, 114. Jahrgang, Nr. 185.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.