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«Wandzeitung» vom 4.8.2015:

EIN SATZ:

1. August-Rede danach.

Wir verteidigen unsere Werte nicht, wir haben die Hosen voll. HARALD MARTENSTEIN.

Die Klippe dieses Satzes liegt nicht in der derben Metapher, sondern im Begriff der Werte. Was sind unsere Werte? Freie Fahrt für freie Bürger? Unlimitierte Anrufe in alle Netze? Ausländer raus? Sicherheit um jeden Preis?

Oder dass Sakralbauten bestimmter Religionen die gesellschaftliche Ordnung bedrohen? Ich hätte mir gewünscht, dass in der gleichen Verfassungsbestimmung auch die Gartenzwerge verboten worden wären, aber da bin ich halt zu wenig populistisch.

Ich stimme bei, dass es zu viele Leute hier hat. Oder die falschen. Und zu viele Gartenzwerge. Nur möchte ich die Einteilung des Überhangs nicht nach Staatsangehörigkeit vornehmen. Ich will nicht soweit gehen, bei der wünschbaren Begleitung diverser Personen in weit entfernte Destinationen den Inländervorrang zu propagieren. Ich kann aber guten Gewissens den Satz an die Wand pinnen, dass mir mindestens so viele Schweizer Bürger – hier könnte ich ausnahmsweise einmal bewusst die modische Doppelform nehmen – und Bürgerinnen missfallen wie ausländische Staatsangehörige. Vielleicht nicht nur mir. Es geht nicht um den vielbeschworenen Dichtestress, sie missfallen einzeln.

Ich will nicht die Betrachtungsweise einnehmen, die verflossene Zeit vom Erwerb der Staatsangehörigkeit bis zum Missfallen in Relation zur erwünschten Wegbegleitung zu setzen. Einfacher: Es gibt Leute, deren Vorfahren schon beim Rütlischwur dabei waren und deren endgültiger Abreise ins Ausland ich auch nicht die kleinste Träne nachweinen würde.

Die Krönung unserer Wertedebatte stellt die kollektive Angst dar, dass aus jedem Strauch der irre, selbstverständlich fremdländische Axtmörder springt und den aufrechten Bürger samt Familie und Gartenzwergen vergewaltigt und niedermetzelt. Der Schiss vor dem Seltenen hat zur Renaissance des Strafrechts, zur überbordenden Präsenz von allerlei deutlich markierten Sicherheitsleuten und zu horrenden Kosten geführt.

So neulich Abend in der S12. Auftritt erster Security, in Stiefeln vorbeimarschierend, barsch: «Billettkontrolle». Auftritt zweiter Security, mein Abo musternd, barsch: «Guet». Auftritt dritter Security, gelangweilt hinterherschlendernd. Der DDR-Grenzer im Interzonenzug war freundlicher und kommunizierte weniger redundant im Verhältnis zu den Werten des damaligen Unrechtsstaats.

So Unwichtiges wie der Respekt vor dem Individuum, dessen Freiheit des Denkens und Redens, seiner Lebensgestaltung oder gar die aufgeklärte Vernunft sind Relikte aus Zeiten des Humanismus. Sie stehen nicht auf unsern Werbe- und Wertebannern.

Wo solche Werte rar geworden sind oder gänzlich fehlen, sind sie selbstredend auch nicht verteidigbar. Und wer die Hosen voll hat, verteidigt schon mal gar nichts. Der Feind muss nur dem Gestank nach.

Erst wenn wir den Hintern saubergewischt haben, haben wir eine Chance, zu Werten zu kommen, die wir verteidigen können. Nach innen und aussen. Und uns Vollmundiges wie zum letzten Ersten zu ersparen.

 

 


Adrian Ramsauer,
4.8.2015, 114. Jahrgang, Nr. 216.

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Standpunkte:

6.8.2015, 09:32 Uhr.

Herbert Danzer schrieb:

Ein exzellenter Text!


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