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«Wandzeitung» vom 17.10.2015:

Wir sparen wo wir können:

Geiz ist geil! Sicher?

Meistens bin ich grosszügig: beim Schenken, beim Trinkgeld, bei Einladungen und auch bei kostenlosen Sachen wie Komplimenten, Danksagungen, Respektbezeugungen etc. Meine Mutter war es auch, wenngleich sie nicht immer die finanziellen Möglichkeiten hatte. «Bei den Reichen lernt man sparen» hat sie oft gesagt. Und heute ist das Sparen oder Geizigsein nicht nur ein Privileg der Reichen, vielmehr überall, und zwar in allen Branchen. Im Lauf der Zeit bin ich sensibilisiert worden, zuerst einmal in den Restaurants. Beispiel Einschenken: mit lupengenauer Präzision wird praktisch überall ganz exakt bis zum Strich eingeschenkt, gerade so, dass man nicht reklamieren kann. Bei den starken Getränken mag man das noch hinnehmen, beim Wein, wo man weiss, dass der Wirt die Flasche für 2.90 einkauft und den Deziliter für 8 weitergibt, schon weniger. Ein einziges Restaurant in Winterthur macht(e) eine unglaubliche Ausnahme: kein geeichtes Karäffchen, eingeschenkt wurde grosszügig direkt ab der Flasche, die man in vielen Gaststätten nicht zu sehen bekommt (wahrscheinlich, weil es Literflaschen sind). Frau Wirtin, die manchmal beim Vorbeigehen einfach nochmals nachschenkte, hat leider das Wirten aufgegeben – die Rede ist vom Löwen in Veltheim, bei dem jetzt alles ganz anders ist.

Bei Speisen kann man auch geizen. Gestern habe ich in einem Thai-Restaurant ein Menü bestellt das laut Karte Rindfleischstreifen in Tamarindensauce und Gemüse enthalten sollte. Beinahe hätte ich eine Vermisstmeldung aufgegeben, weil das Rindfleisch (zwar zäh und keine Streifen) unter dem Mischgemüse kaum zu finden war. Ohne es werten zu wollen, aber für 40 g Fleisch minderer Qualität überdeckt von Gemüseabfällen 23 Franken zu verrechnen ist nicht nur geizig sondern frech.

Vernissagen und Aperos: auch da spart man, wenn’s geht. Am vergangenen Samstag wurde die Hodler-Anker-Giacometti-Ausstellung im Museum Oskar Reinhart eröffnet. Meist wird nach den Reden ein Aperitif serviert – nicht mehr wie einst ein «Apero riche» (das machen nur noch die Banken) aber bei der international beachteten Ausstellung gab es – nichts. Mich hat das weniger gestört als die Tatsache, dass von unserer Regierung niemand da war, weder vom Stadtrat noch vom Gemeinderat. Das hat ungefähr zu dem gepasst was Christoph Blocher und der scheidende Direktor des Museums Marc Fellmann gemeint haben, als sie sagten, dass sie gerne hätten, wenn Winterthur wieder eine Kulturstadt werden würde. Fellmann hat unter vorgehaltener Hand noch erwähnt, dass das Klima in Winterthur für die Kultur eher schwierig sei, ich solle bei der nächsten Wahl bitte andere Menschen wählen. Vielleicht haben unsere Politiker geahnt, dass sowas kommen könnte, oder sie waren eher geizig mit Worten, die man von ihnen erwartet hätte.

Dass so viel Hodlers und Ankers in der Schweiz geblieben sind, haben wir nicht den Geizigen zu verdanken, sondern Persönlichkeiten mit Weitsicht (und Geld) wie den Reinharts und Hahnlosers und weitsichtigen Kunstkennern, die nicht des schnöden Mammons wegen in Kunst investieren, sondern weil ihnen Bilder etwas bedeuten und sagen. Zum Beispiel Blocher und Stefanini.


André Bernhard,
17.10.2015, 114. Jahrgang, Nr. 290.

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