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«Wandzeitung» vom 19.10.2015:

Unsere Sprache spielt im zeitlosen Raum:

Mut zur Begegnung.

Sprache hat keinen Anfang und kein Ende. Sie ist zeitlos. Davon erleben wir im Alltag allerdings wenig. Die ganze Agenda richtet sich nach der Zeit. Sogar der Besuch beim Arzt ist terminiert. So richtig gesund sein darf heute niemand mehr. Auch das Kranksein richtet sich nach der Zeit. Längst haben wir die Zeit zur Tante genommen. Ich nenne sie Konstante. Die konstante Zeit ruiniert uns im Leben. Sie ist eine Fiktion.

Viele Krankheiten in unserer Gesellschaft richten sich nach der Zeit. Wie lange darf ich dem Arbeitsplatz fernbleiben? Aber auch viele Geburten sind terminiert. Denn Karriere zu machen bedeutet eine Agenda zu führen. Das betrifft den Mann genauso wie die Frau. Beide müssen gemäss Konstante flexibel sein. Die Zeit als Konstante zu führen, bestimmt Geld und Karriere. Wird jemand krank, gebiert ein Kind oder verunfallt, so unterliegt er automatisch dieser Fiktion und wird darin eine Lösung finden. Unsere Gesellschaft bietet die Zeit zur Lösung an, als ob alles einen Anfang und ein Ende hat, damit die Rechnung aufgeht. Daran glauben heute die meisten, und sterben auch danach.

Entziehen wir unserer Sprache die konstante Zeit, wird der Schatten dieser Fiktion sichtbar. Wir sprechen dann nicht mehr von Terminen, sondern von Begegnungen. Unsere Gesellschaft möchte diese Art der Kommunikation aber verbieten und bietet Zeitfenster an. Wer leben will, so heisst es, pocht mit der Zeit. Er führt eine Agenda, aber kein Leben. Mit der Elektronik in der Kommunikation muss man sich auch nicht mehr treffen. Kürzlich hörte ich jemanden beim Telefonieren fragen, ob er mit dem Gesprächspartner denn physisch abgemacht hätte. Hätte er statt physisch oder virtuell «körperlich» gesagt, wäre ihm seine Sprachphobie peinlich gewesen. Weshalb ziehen wir physikalische Sprache der räumlichen vor? Wegen der Zeit. Sobald wir der Sprache unendlichen Raum geben würden, hätte die Zeit als Konstante ausgedient und weniger Einfluss auf Geld, Karriere und den frühen Tod. Wir würden einander begegnen, könnten unendlich denken, und die Sprache bekäme ihren Fluss. Doch dafür hat kaum jemand Zeit. So verfallen viele der Fiktion, vernetzt und einsam zu sein. Wir rechnen alles über Zeit ab und begegnen uns und anderen wortkarg. Würden wir jedoch wieder vermehrt der Sprache ihren unendlichen Raum geben, würden wir uns beim Sprechen selber zuhören können und Fehler vermeiden.

In der Sprache liegt die eine Herkunft unseres Lebens. Unser Bewusstsein geht Jahrtausende zurück und kann heute und morgen die Welt verändern. Wir können Fragen stellen und beginnen plötzlich Lösungen zu finden, die nicht in der Zeit liegen, ganz einfach, weil wir uns erinnern und die Lösungen längstens wissen. Geben wir der Sprache also mehr Raum und lernen wir wieder zu antworten, zuzuhören und einfach mit uns selber ehrlich zu sein. Wir brauchen dazu keine Altmeister zu suchen. Wir sind es selber, die zeitlich unser Leben verkürzen, genauso wie wir es selber verlängern. Gesund zu entscheiden braucht halt etwas Mut, die konstante Zeit in der Agenda zu streichen.

 

 


Heiner Dübi,
19.10.2015, 114. Jahrgang, Nr. 292.

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