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«Wandzeitung» vom 9.7.2015:

Russischer Medaillenregen:

Geboren im Land ohne Orden.

Gerade ist der russische Festlärm vorbei – der Siegestag am 9. Mai und der «Tag Russlands» am 12. Juni, an denen massenhaft Orden und Ehrenurkunden verteilt wurden. Mit viel Pomp wurden Soldaten, Politiker, Wissenschaftler, Lehrer, Ärzte, Schriftsteller, Regisseure, Tänzer, Musiker und Arbeiter mit Verdienstorden unterschiedlichen Grades ausgezeichnet. Stolz zogen die Kriegsveteranen mit funkelndem Ordensgehänge durch die Strassen. Der Schweizer beobachtet das Ganze mit offenem Mund – einmal vor Staunen und dann, weil er realisiert, dass er ausser dem 1.-August-Abzeichen wohl nie etwas an die Brust geheftet bekommt, weil er in einem Land ohne Orden geboren ist.

Als eine vor Bescheidenheit strotzende Nation sind wir natürlich stolz darauf, dass wir solche Orden nicht haben und nicht brauchen – Gott behüte! Aber wohnt nicht in jeder Schweizerseele der insgeheime Wunsch, einmal für seine Verdienste ein klitzekleines «Ördeli» zu bekommen? Wie geizig erscheint doch die Schweiz angesichts des russischen Medaillenregens! Die Sehnsucht, mich mit (fremden) Orden zu schmücken, ging 1991 mit mir durch, als sich Russland erstmals an der Basler Mustermesse präsentierte, und ich dort massenhaft «Snatschki» (Abzeichen) und Orden aller Art erstand. Die bunten und schön gestalteten Anstecker, auf denen Flugzeuge von Aeroflot, die Raumschiffe «Sputnik» und «Sojus», Gagarin, Marx und Lenin abgebildet waren, heftete ich mir an meine Jeansjacke und meinen Hut und erweckte im Trämli reichlich Aufsehen und schiefe Blicke. Einen besonders schönen Orden luchste mir damals ein Bekannter ab, weil er ihn sich im WK an die Uniform hängen wollte. Verständlich, denn die Brust des Schweizersoldaten bleibt ebenso schmucklos wie die des Schweizerbürgers. Im besten Fall hängt dort ein hässliches Sport- oder Schiessabzeichen.

Viel interessanter als die Frage, wer einen Orden bekommen kann, sind die Diskussionen darüber, wer ihn nicht bekommen hat, obschon er oder sie es doch schon längst verdient hätte. Ordensneid, beziehungsweise – Hunger darauf gibt es überall – das erlebte ich an meinem letzten Tag in der Schweizer-Armee, als einer meiner Kameraden mit seiner Beförderung zum Gefreiten rechnete. Er hatte sich wirklich immer eingesetzt und ich hätte es ihm wirklich gegönnt. Doch er bekam den Gefreiten-Streifen nicht, stattdessen wurde irgendein farbloser Typ befördert. «Wenn ich das gewusst hätte!», sagte er enttäuscht, und ich verstand, wie wichtig die Aussicht auf eine Auszeichnung für ihn als Antrieb gewesen war.

Orden sind nicht nur oft ungerecht, sondern führen auch zu einer verdächtigen Allianz zwischen Ordensträger und Ordensverleiher. Denn wer ausgezeichnet wird, bezahlt doch auf irgendeine Weise für seinen Ruhm, oder? Zum Beispiel mit Loyalität. Darum wird mein Neid beim Anblick der prächtigen Ordensverleihungen im Kreml meist rasch durch ein kleinliches eidgenössisches Misstrauen verdrängt: Die feierlich überreichte Ehrenurkunde erscheint mir wie ein Vertrag, der unterschrieben wurde, ohne dass das Kleingedruckte gelesen wurde.


Eugen von Arb,
9.7.2015, 114. Jahrgang, Nr. 190.

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