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«Wandzeitung» vom 8.1.2015:

Liebesbrief:

N.

Sie war elf und ich drei Jahre mehr, als wir uns in einer Pension im Appenzellerland über den Weg liefen. N machte Ferien mit ihren Eltern, ich war mit einer Tante da. Schüchtern lächelten wir uns an, wenn wir uns im Ess-Saal oder auf der Treppe sahen. Kein Wort zwischen uns und doch war da etwas. Ich habe sie als zauberhaftes Wesen in Erinnerung, mit langem, blondem Haar. Am letzten Tag legte ich dem Mädel ein Zetteli auf den Tisch. Sechs Monate wartete ich vergeblich auf ein Zeichen, doch dann war der erste Brief da. N ist keine grosse Schreiberin, drum hatte sie so lange gewartet. Aber ihre Neugierde war dann doch grösser gewesen.

Fünf Jahre später etwa trafen wir uns zum ersten Mal. Sie wohnt in BL, ich damals in Winti. Auf der Karte zeigte sich Brugg als die halbe Strecke. Nervös aber mutig stürzten wir uns ins Gespräch. Wir lachten viel. Fortan sahen wir uns etwa zweimal im Jahr. Abwechselnd in BL und ZH. Ihre erste grosse Liebe kam ebenfalls aus Winterthur. So hatte ich das Glück, dass wir uns einen Tick mehr begegneten. N war mir so richtig ans Herz gewachsen. Ich vertraute ihr alles an und umgekehrt. Als mein zweiter Sohn zur Welt kam, war sie die Patentante meines Herzens. Sie eilte sofort herbei und besuchte das kleine Würmchen in der Neonatologie. Sie begleitet uns durch alle Zeiten und freut sich an allen Erfolgen. Sie ist ein liebevolles Gotti auch nach der Konfirmation noch. Wenn ich einmal ins Spital muss, ist sie an meiner Seite. Sie möchte nicht, dass mir etwas passiert und ist in ständiger Sorge. Wen sie unter ihre Flügel genommen hat, der ist behütet!

Als Mahlzeit gesehen wäre sie ein bunt gemischter Saisonsalat, eine feurige Lasagne und Erdbeeren mit Rahm. Sie ist ein sinnlicher, kreativer Mensch mit vielen Facetten. Wie viele es sind, zeigt sie nicht jedermann. Sie arbeitet gern mit den Händen und lässt aus verschiedenen Materialien Kunstwerke entstehen. Sie ist jemand, mit dem man Pferde stehlen und viel Spass haben kann. Zu ihrem 40. Geburi sind wir zwei an den Ort gegangen, an dem wir uns zum ersten Mal gesehen haben. Die Pension war zwar nicht mehr da, aber ein tolles Kurhaus. Wir liessen uns so richtig verwöhnen, ein ganzes Wochenende lang. Nebeneinander im Bett zu liegen und im dunkeln Zimmer zu quasseln bis uns die Augen zufielen war toll.

N ist wie ein ganz tiefer See. Es lohnt sich darin einzutauchen. Schade, dass es zu wenige Taucher gibt. Manchmal verliert sie sich etwas in der Tiefe und ich darf ihr Leuchtturm sein. Wir schreiben einander nun jeden Tag. Sie meistens per Handy, ich per Mail. Ich glaube, wir wissen alles voneinander, auch das Schwarze und Unangenehme. Wir haben wortwörtlich alle Hüllen fallen lassen. Auch harte Diskussionen gehören dazu, wir sind nicht immer einer Meinung. Obwohl sie bisher viel erreicht hat, ist sie weiter auf der Suche. Es gibt einiges, was unerfüllt geblieben ist. Ich bin an ihrer Seite und hoffe, dass sie offene Augen und Ohren hat und alles aufnimmt. Das Gute ins Töpfchen, das Schlechte ins Kröpfchen. Das Allerwichtigste ist unsere Freundschaft, die uns durchs Leben trägt. Sie ist mein Stern und ich bin ihrer.

 

 

 


Momo Appenzeller,
8.1.2015, 114. Jahrgang, Nr. 8.

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