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«Wandzeitung» vom 8.8.2015:

Über Touristen, Stangen und anderen Peinlichkeiten:

But first, let me take a selfie.

Sommer. Ferienzeit. Reisen. Die Seele baumeln lassen. Am Strand spazieren gehen. Den Berg erklimmen. Auf Griechenland segeln und in der Karibik tauchen. Was darf nicht fehlen? Der Pass. Und Sonnencreme. Vielleicht einen Reiseführer. Ein wallendes weisses Kleid. Sonst noch was? Eine Kamera natürlich. Nichts Schöneres, als die Schönheit schön auf einem Foto einfangen, um an einem verregneten Herbstnachmittag in Erinnerungen zu schwelgen. Kamera? Nicht doch, ein Handy, ein Smartphone, pardon, reicht. Kathedrale, Fisch, Sand und gebräunter Fuss, trendiges Getränk, buddhistischer Tempel, rassiges Cabrio, herziger Typ landen auf dem Smartphone und werden umgehend auf Instagram, Facebook, Twitter, Pinterest und Co publiziert. Ein wichtiges Element habe ich vergessen. Das wichtigste vielleicht. Mich nämlich. Ich als Subjekt rücke in den Vordergrund und lichte mich selbst vor dem herzigen Typen, mit dem Fisch, neben dem Getränk ab. Selfie. Nichts Neues. Dieses Jahr aber sind Menschen wie ich, die ab und an ein Erinnerungs- Selfie mit dem Handy schiessen absolut passé … Neu trägt der trendbewusste Jetsetter einen Selfie-Stick mit sich herum. Irrsinnige Situation entstehen: die junge Koreanerin posiert vor der Eiffelturm, hält ihren Rechten Arm ausgestreckt, in der Hand der Selfie-Stick und köpft dabei fast den alten Mann, der nichtsahnend im Champ de Mars spazieren gehen wollte. Kein Wunder haben manche Touristen-Orte reagiert und die dämliche Stange gar verboten.

Was auch verboten gehörte sind manche Touristen (vielleicht ich inbegriffen, je nach Betrachter). So sassen mein Mann und ich neulich in einem netten Restaurant in Madrid. Authentisch war es. So richtig spanisch. Wie man sich das eben vorstellt. Rioja, Oliven und Chuletón auf dem Tisch, angeregte Diskussion im Gang. Dann plötzlich: Die Türe geht auf, eine Gruppe von 10 kommt herein. Von weitem erahnen wir es: es sind Schweizer, Aargauer. Natürlich sitzen sie neben uns. Natürlich meckern sie. Zu viel Fisch, zu wenig Auswahl an Fleisch. Zuhause sei es eben schon am Schönsten. Wir innerlich: Dann geht doch, bitte.

Ich persönlich mag es nicht, wenn ich im Ausland andere Schweizer treffen. Auch Spanier will ich keine treffen. Deutsche, Franzosen und Amerikaner auch nicht. Am liebsten wäre es mir, wenn ich keine Touristen treffen würde. Aber eben, dass lässt sich schlecht einrichten. Ausser auf Papua Neuguinea, vielleicht. Besonders peinlich wird es, wenn ich Schweizer im Ausland treffe, die gleich empfinden wie ich. Einmal auf Thailand war das der Fall. Vier Tage lang haben wir uns ignoriert und extra alles andere ausser schweizerdeutsch gesprochen. Am letzten Tag, als das andere Paar abreiste, haben wir uns nett voneinander verabschiedet. Das de scho. Passenderweise hätten wir noch ein Selfie mit der Stange schiessen müssen. Zum Glück war das lange vor der iPhone-Maniac-Ära. DAS wäre dann oberpeinlich gewesen.

 

 


Oriana Ziegler-Somarriba,
8.8.2015, 114. Jahrgang, Nr. 220.

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