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«Wandzeitung» vom 8.10.2015:

Die Wa(h)len:

Was mached mir mit dene Wa(h)le?

Früher arbeitete ich bei einem Zürcher Lokalradio. Täglich hielten wir eine Redaktionssitzung. Wie in allen Redaktionen auf der Welt ging es auch in diesen Sitzungen darum, Primeurs zu generieren, Storys mehr oder weniger erfolgreich weiterzuziehen und sich zu positionieren. Abgebrühte Redakteure geben ihren Senf zu den News, Produzentinnen bangen um den Inhalt der Sendung und Praktikanten lernen, dass Journalismus nicht so glamourös ist, wie es in der Hochschule angepriesen wird. In besagter Radiostation gab es viele Praktikanten und Praktikantinnen. Jungs, die ein zweiter Beni Thurnheer werden wollen. Mädels, die von der grossen TV- Karriere träumen. Eine Praktikantin war eine sympathische Bündnerin, die eines Tages ernst in die Runde fragte: «Was mached mir dänn mit dene Wale? Nun, in der Mundart hört man das fehlende H nicht. Mein Herz machte einen Sprung. Endlich eine, die sich für Politik interessiert und nicht nur für Sternchen und Prominews. Heureka. Meine Freude war von kurzer Dauer, denn die Praktikantin fragte nach den gestrandeten Walen vor der Küste Kaliforniens. Ich frage aber doch, was mached mir mit dene Wahle? Einmal mehr diktiert die SVP den Wahlkampf. Wie Kälber schauen die anderen Parteien die Mutterkuhpartei an und reagieren auf sie, statt selber zu agieren. Soll sich keiner wundern, wenn am 18. Oktober die SVP als Siegerin da steht. Im Nachhinein nützt das Lamentieren und «hätten wir doch ...» nichts mehr. In meiner zweiten Heimat, Katalonien, waren kürzlich auch Wahlen. Seit über elf Jahren lebe ich in der Schweiz. Mein Herz fühlt aber noch ein bisschen katalanisch. Mit meinen Freundinnen habe ich katalanisch gesprochen, der erste Kuss bekam ich von einem katalanischen Jungen. Ja, ich bin unter anderem auch Katalanin. Spanierin? Nein. Früher, da war ich ganz klar nur Katalanin. Hätte ich vor zehn Jahren für oder gegen die Abspaltung Kataloniens wählen dürfen, hätte ich ein fettes Ja in die Urne gelegt. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher, wie ich stimmen würde, denn die Rahmenbedingungen scheinen mir falsch zu sein. Demokratie bedeutet unter anderem einen offenen Diskurs zu führen. Demokratie bedeutet aber auch, sich an gewisse Spielregeln zu halten. In demokratischen Ländern gibt es so was wie eine Verfassung. Da steht, was erlaubt ist, was nicht. In Spanien steht drin, dass Katalonien zu Spanien gehört. Nun passt das fast der Hälfte der Katalanen offensichtlich nicht. Deren Regierung nimmt dieses Resultat als Grundlage, um den Abspaltungsprozess von Spanien in Gang zu setzen. Doch die rechtliche Grundlage fehlt. Mit geladener Pistole lässt sich schlecht verhandeln, das wird auch Artur Mas merken müssen. Ohne Änderung der Verfassung, kann Katalonien noch so vehement auf einen eigenen Staat pochen: Das Resultat ist und bleibt illegal. Ich verstehe, dass Katalanen mehr entscheiden wollen, dass sie souverän sein wollen. Ich würde vielleicht sogar für einen eigenen Staat sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden und ein ehrlicher, offener, legaler Dialog geführt wird zwischen Madrid und Barcelona. So wie es heute steht, ist dies aber illusorisch, denn beide Seiten sind zu festgefahren und zu kompromisslos. Vielleicht täte es den Herren auch mal gut, wie es einst die Praktikantin tat, das Thema zu wechseln und einen neuen Approach zu suchen.


Oriana Ziegler-Somarriba,
8.10.2015, 114. Jahrgang, Nr. 281.

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