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«Wandzeitung» vom 10.3.2015:

1. Umfrage:

«Ist es besser in einem Mercedes zu weinen oder auf der Strasse?»

Eine junge Teheranerin erzählte von ihrer Arbeit in einem Spielzeugladen. Reiche Eltern würden ihre Kinder mit Geschenken und Spielsachen überhäufen, liessen es ihnen jedoch an Aufmerksamkeit und Liebe fehlen. Das fanden wir traurig. Die armen reichen Kinder. «Immer noch besser in einem Mercedes zu weinen als auf der Strasse», meinte ihr Freund und wir stimmten zu.

Aber ist es wirklich besser? In dieser Gleichung kann man das Weinen natürlich streichen. Die Frage ist: Mercedes oder Strasse? Reich oder arm? Was ist besser? Wenn reich bedeutet, sich finanziell vieles bis alles leisten zu können und arm, sich wenig bis nichts leisten zu können, mindestens aber die grundlegenden Existenzbedürfnisse.

Ich startete meine Umfrage in Dubai. Unser Gastgeber Farbod war in einem reichen Elternhaus mit Chauffeur, Koch und Dienstboten aufgewachsen. Doch am glücklichsten sei er gewesen, wenn er sich, auf Besuch bei seiner Tante in einem ärmeren Stadtteil unters Strassenvolk mischen konnte. Da fühlte er sich frei und glücklich, zusammen mit Kindern aus einfachen Verhältnissen, die nichts von seiner Herkunft wussten.

Wenige Tage später reisten wir in den Oman. In der Hauptstadt Muskat beherbergte uns Mohammed, ein reicher Investmentbanker aus Jordanien. Er antwortete mit einer tollen Geschichte. Ein reicher Unternehmer fährt mit seiner Yacht in eine hübsche Bucht, wirft seine Angel aus und geniesst die Ruhe, das Meer und die Sonne. Nicht weit von ihm entdeckt er einen armen Fischer auf einem kleinen Fischerboot. Der Fischer fischt knapp zwei Stunden, fängt ein Fisch, zwei Fische und tuckert dann zurück an Land. Am nächsten Tag kommt der Unternehmer wieder und beobachtet die gleiche Szene. Genau wie an den folgenden Tagen. Schliesslich spricht er den Fischer an: «Was du machst ist nicht sehr effizient», sagt er. «Du fischst nur zwei Stunden und verdienst vielleicht ein, zwei Dollar. Du könntest 12 Stunden am Tag fischen und würdest an einem Tag so viel verdienen wie jetzt in einer Woche. Du könntest das Geld investieren und ein grösseres Boot kaufen. Damit könntest du noch mehr Fische fangen und noch mehr Geld verdienen. Dann könntest du andere Fischer für dich arbeiten lassen und nach zwanzig Jahren könntest du dir auch so eine Yacht kaufen und in deiner Freizeit fischen.» Der Fischer antwortet lächelnd: «Wieso sollte ich Jahre meines Lebens verschwenden, um am Ende den gleichen Luxus zu erlangen, den ich schon jetzt geniesse?»

Soweit die Perspektive zweier wohlhabender Zeitgenossen. Mittlerweile sitze ich in einem kleinen Hotelzimmer in Kottayam im Bundestaat Kerala im Südwesten Indiens. Ich bin gespannt, ob die Bedürftigeren unter uns, das einfache Leben ebenso schätzen wie die besser Situierten. Der zweite Teil der Umfrage folgt in einem Monat.

 

 


Anita Blumer,
10.3.2015, 114. Jahrgang, Nr. 69.

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Standpunkte:

11.3.2015, 08:03 Uhr.

Herbert Danzer schrieb:

Banker Mohammed hat anscheinend Bölls «Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral» gelesen ...


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