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«Wandzeitung» vom 10.4.2015:

Keine Umfrage:

Reicher Pfeffersack.

Ist es besser vermögend zu sein oder in bescheidenen Verhältnissen zu leben? In meinem Text vom letzten Monat habe ich eine neuerliche Umfrage zu diesem Thema versprochen. Das Problem ist, dass ich mich nicht traue, Bruno diese Frage zu stellen. Bruno ist der Kaffee- und Pfefferbauer, bei dem wir seit einem Monat arbeiten. Er ist Franzose und lebt seit 24 Jahren in Südwest-Indien. Er ist stark und zäh und er bewegt sich auf dem steilen, unwegsamen Waldboden so schnell und geschmeidig, dass wir Mühe haben ihm zu folgen. Er tötet Schlangen und Ratten ohne mit der Wimper zu zucken, aber nur wenn sie sich in seinem Hof einnisten und ihm Ärger bereiten, sonst tötet er keine Tiere. Er ist Vegetarier. Bruno ist kein Mann der vielen Worte, sondern ein Mann der Taten und irgendwie scheint es mir unangebracht nach einem harten Arbeitstag, wenn wir uns wortlos und hungrig über das duftende Curry hermachen, diese abstrakte Frage zu stellen. Überhaupt überlege ich mir immer gut, was ich sage. Weil wenn wenig geredet wird, bekommt das Gesagte grössere Bedeutung und eine deplatzierte Frage macht sich besonders schlecht.

Gut kommen Fragen über den Pfeffer an. Dazu kann Bruno einiges sagen. Obwohl er jährlich zwei Tonnen Kaffeebohnen erntet, ist der Pfeffer seine wahre Liebe. Das merkt man daran, wie er zu jedem einzelnen Pfefferkorn Sorge trägt und wie er über den Pfeffer spricht. Der Pfeffer, der ursprünglich von hier stamme, werde seit jeher auf die gleiche Art angebaut und geerntet. Das wichtigste Werkzeug bei der Pfefferernte ist ein dicker langer Bambusstab, dessen gestutzte Äste als Tritte dienen. Damit klettert man den Baum hoch, an dem sich der Pfeffer, der an einer Kletterpflanze wächst, hoch schlängelt. Das kann sehr aufregend sein, denn manche Bäume sind noch jung und dünn und drohen zu brechen, so dass man Gefahr läuft mitsamt dem Baum umzufallen. Die robusteren Bäume sind deswegen grundsätzlich beliebter, können aber ebenfalls Nervenkitzel verursachen, wenn der Bambus wegzurutschen droht. Das sollte zwar nicht passieren, weil man ihn mit einem Seil am Baum sichern kann. Bruno sagt, man solle trotz Sicherung immer einen Absprungplan im Hinterkopf haben. Also schauen, wie und ob man abspringen könnte, falls der Bambus oder der Baumstamm und in dem Fall beides fällt.

Der Pfeffer wird in kleinen Sträusschen abgenommen. Um die Körner von den Sträusschen zu lösen, trampeln wir mit blossen Füssen auf dem Pfeffer herum. Diese Methode wird von den meisten kleinen Farmen, die den grösseren Teil der Pfefferproduzenten ausmachen, angewendet. Die gute Nachricht ist, dass wir unsere Füsse vorher ausgiebig waschen. Am Ende muss man wie Aschenbrödel in mühevoller und mehrstündiger Lesearbeit die Körner von den leeren Sträusschen trennen. Dann wird der Pfeffer ausgelegt und für vier Tage an der Sonne getrocknet. Dann ist er fertig.

Im Mittelalter war Pfeffer eines der wertvollsten Handelsgüter. Wenn ein Mann durch Pfefferhandel zu Reichtum kam, nannte man ihn einen Pfeffersack. Was wären Sie lieber: Ein reicher Pfeffersack oder ein bescheidener Pfefferbauer?

 

 


Anita Blumer,
10.4.2015, 114. Jahrgang, Nr. 100.

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