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«Wandzeitung» vom 10.7.2015:

Zu Besuch in Dharamsala:

Scheisstouris!

Jeder westliche Tourist in Indien kennt das Phänomen: Man wird von den Einheimischen gemustert, als wäre man ein Ding von einem anderen Stern. Das kann sehr irritierend sein. Wenn man etwa in einem Restaurant sitzt, dann stehen zwei bis drei Mitarbeiter in unmittelbarer Nähe und schauen zu, wie man isst. In diesem Fall ist das Beobachten vielleicht professioneller Natur. Denn in Indien wird man in den meisten Restaurants rasch bedient. Sobald man sich setzt, kommt jemand, um die Bestellung aufzunehmen. Er wartet meist am Tisch bis man sich entschieden hat. Das Essen kommt in wenigen Minuten und noch bevor man den letzten Bissen runterschlucken konnte, wird man gefragt, ob man noch Tee wolle. Dieser prompte Service erfordert natürlich einige Aufmerksamkeit.

Manchmal zeigen auch Kinder auf uns und kichern oder Erwachsene bleiben vor uns stehen und schauen uns an. Viele wollen Fotos mit uns machen. Die meisten fragen, doch es kann auch vorkommen, dass jemand einfach vor oder neben uns posiert, so als wären wir Sehenswürdigkeiten. Auch das ist manchmal ein wenig irritierend. Doch es ist auch lustig und äh interessant. Als Reisende sind wir ja interessiert an der einheimischen Kultur und beobachten die Eigenheiten und Gewohnheiten der Bevölkerung immer wohlwollend oder zumindest neutral. Denn wir wollen ja nicht urteilen, nur beobachten, allenfalls verstehen und lernen. Vielleicht bedrücken uns die Abfallberge und die Angewohnheit der Inder sämtlichen Abfall einfach auf den Boden oder aus dem Zugfenster zu werfen. Aber wir lassen uns davon nicht den Blick aufs grosse Ganze vernebeln. Auf die reiche indische Kultur: das Essen, die Freundlichkeit, die Spiritualität, die Traditionen und so weiter.

Doch wenn die Inder selbst Touristen sind, verlieren sie den Einheimischen-Bonus und damit etwa die Hälfte ihrer Vorschuss-Sympathien. So erlebe ich das hier in Dharamsala, dem Sitz der tibetischen Exilregierung und Heimat der grössten tibetischen Exilgemeinde. Wohlbemerkt befindet sich Dharamsala in Indien, doch die meisten Inder sind hier Touristen. Und als solche werden sie automatisch einer viel kritischeren Betrachtung unterzogen, als wenn wir sie bei ihnen zu Hause besuchen. Hier nervt es uns, wenn die Punjabis mit ihren dicken Autos die engen Strassen verstopfen und die Gewohnheit der Inder permanent zu hupen, macht uns wahnsinnig. Auch das ständige Fragen nach Fotos empfinden wir als Belästigung und die indischen Touristen führen sich zuweilen respektlos auf. Etwa, wenn sie im tibetischen Tempel Fotos schiessen, obwohl doch ausdrücklich steht, dass man keine machen darf! So viel ziviler Ungehorsam weckt die Schweizerin in mir, und ich überlege mir sogar, ob ich nicht sagen soll, dass das emfall verboten ist.

Es ist das Touristenphänomen. Ich meine, denken wir nur an die Deutschen in Mallorca, die Russen in Goa oder die Schweizer in Thailand! Angehörige unterschiedlichster Nationalitäten nerven als Touristen. Es ist sogar salonfähig, Angehörige einer Nationalität pauschal zu kritisieren, wenn sie als Touristen unterwegs sind. Aber warum eigentlich? Was ist so schlimm daran, wenn Menschen sich anderswo amüsieren? Darf man es nur bei sich zu Hause krachen lassen?


Anita Blumer,
10.7.2015, 114. Jahrgang, Nr. 191.

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