Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 20.11.2015:

Gedanken ans Autofahren:

«Aber du bisch doch bi de Grüene!»

Ich höre letztens immer wieder den Satz: «Mann, es isch scho November! Ich gseh’s voll nid, isch s’ 2015 ächt scho verbi?» Auch mir kommt es vor, als wäre 2015 im Schnelldurchlauf vorbeigezischt. Ehrlicherweise muss ich dazu aber eingestehen, dass mir das bereits bei den Jahren 2011, 2012, 2013 und 2014 so ergangen ist. Dasselbe gilt für meine Altersjahre; seit zirka vier Jahren habe ich das Gefühl, die Zeit vergehe doppelt so schnell wie früher. In wenigen Wochen steht bereits mein 25. Geburtstag vor der Tür. Ein Vierteljahrhundert, immerhin! Damit verbunden sind für mich nicht nur weitaus teurere ÖV- und Handy-Abos, sondern auch die Auseinandersetzung mit mir und meinen frühkindlichen Vorstellungen von mir selbst als 25-Jährige: mit beiden Beinen im Leben stehend, immer top frisiert (Dauerwelle) und erwachsen gekleidet (Blazer), mit festem Beruf (Anwältin oder Historikerin) und marginalem Alkoholkonsum (ab und zu ein Gläschen Rot-/Weisswein) – eine reife, ausgewachsene Frau, eventuell sogar schon mit Kind. Und natürlich mit Führerschein.

Ich habe den Gedanken ans Autofahren und den damit verbundenen Kosten und Mühen aber leider lange verdrängt und mich von Bekannten und Verwandten in der Weltgeschichte herumchauffieren lassen. Unter anderem, weil ich mit genau jener Reaktion gerechnet hatte, mit der ich schlussendlich auch immer wieder konfrontiert werde: «Was, du lernsch Autofahre? Aber du bisch doch bi de Grüene ...! Chasch denn das mit dim ökologische Fuessabdruck veriibare? Hähähä!» – Seufz.

Vor einem halben Jahr entschloss ich mich, das Ganze nun doch anzugehen, denn die Möglichkeit, sich mit einem PKW einigermassen unfallfrei fortbewegen zu können, gehört für mich zum Allgemeinwissen. Und mein 25. Geburtstag rückt näher und langsam ist es mir in Gesprächen peinlich, meine Fahrunfähigkeit einzugestehen. Während dem ersten obligatorischen Nothelferkurs drohte mein Vorhaben jedoch erstmals zu scheitern. Nicht, weil ich grundsätzlich nicht interessiert gewesen wäre, sondern weil ich mit Gedankenaustauschen wie dem folgenden konfrontiert wurde:

«So, was meineder, welli Organ sind ächt wichtig für dä Mänsch? Hmm?» – «Dä Härz?» – «Ja, genau, dä Härz, sehr guet! Susch no öpper?» – «Vilicht d’Lunge?» – «Ja, genau! Super! Und waseliwas machemer denn mit dä Lunge?» – «Genau – mer schnuufed d’Luft ii! Chömeder drus bis jetzt?»

So ging es anderthalb Tage weiter. Dieses für mich eher unkonventionelle Gesprächs- und Lernniveau führte zu einem akuten Anstieg meines Konsums sowohl von Frustgummibärchen wie auch von Bier und Wein. Und während ich mich nun daran zurückerinnere, wie ich nach diesem Kurs an einem Wochentag, unfrisiert, in verwaschenen Jeans, eine Hand voll Gummibärchen, in der anderen ein Bier, schimpfend, fluchend, lachend, rauchend mit Bekannten bis spät in die Nacht vor unserem Haus sass und mir den Frust von der Seele schwatzte, wird mir bewusst, dass ich ganz und gar nicht dem frühkindlichen Bild meiner Selbst mit 25 entspreche. Und wie froh ich darüber bin, dass dafür zweifellos noch genügend Zeit sein wird. Später, in ein paar Jahren vielleicht, wenn wir alle erwachsen geworden sind.


Anita Hofer,
20.11.2015, 114. Jahrgang, Nr. 324.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.