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«Wandzeitung» vom 10.12.2015:

Paris, Ho Chi Minh:

Nah und Fern.

Ich sass im Flugzeug nach Ho Chi Minh City und war traurig wegen Paris. Ein Flugzeug ist ein seltsamer Ort, um über ein Terrorattentat nachzudenken. An einem solchen Ort hatte schliesslich alles angefangen. Seither sind Flughäfen wahrscheinlich die terrorsichersten Orte. Ich lächelte meine Sitznachbarin an. Sie lächelte zurück. Immerhin sind wir eine Schicksalsgemeinschaft. Auch wenn das Risiko eines Terroranschlages im Flugzeug verschwindend klein ist, gibt es immer noch die Möglichkeit eines Absturzes, die mir beim Fliegen Angst einjagt. Sobald es ein wenig ruckelt, verkrampfe ich mich und schaffe es nicht an etwas anderes zu denken, als an das potenzielle Unglück. Verschärfend kommt hinzu, dass ich Angst davor habe, meine negativen Gedanken könnten eine negative Auswirkung auf die Realität haben, sprich die Störung des Triebwerkes verursachen und zum Absturz beitragen. Ich glaube offensichtlich, dass ich übernatürliche Fähigkeiten besitze. Interessanterweise ist dieser Glaube nicht sehr dominant, wenn es um positive Dinge geht. Aber Angst ist auch ein stärkeres Gefühl als sagen wir mal Hoffnung. Oder hatten Sie schon einmal eine Hoffnungsattacke?

Ein paar Stunden später landeten wir sicher und ich war erleichtert. Meine Sitznachbarin erboste sich offensichtlich über einen Mann, der sie versehentlich am Kopf berührte, als er sein Handgepäck aus der Ablage holte. Eben noch konnten wir froh sein, dass wir nicht vom Himmel gestürzt und für immer im Ozean versunken waren, und schon ärgerten wir uns wieder übereinander. So sind wir Menschen der modernen Gesellschaft, dachte ich. Wenn es nicht gerade um Leben und Tod geht, sind wir eher asozial unterwegs.

In Ho Chi Minh besuchten wir dann das Kriegsmuseum. Es war überfüllt mit braungebrannten Touristen in Flipflops und Shorts, die aussahen, als wären sie nur durch einen Irrtum hier gelandet. Eigentlich hatten sie die Schnorchel-Tour gebucht, aber irgendetwas war schief gelaufen. Wir standen Schulter an Schulter, um die Texttafeln unter den oft verstörenden Bildern zu lesen. Auch eigenartig, Drängeln um sich die schreckliche Wahrheit über den Vietnamkrieg vor Augen zu führen. Wie gesagt, der Mensch neigt in Friedenszeiten zu Ungeduld und Intoleranz. Aber wir nahmen uns angesichts des Inhaltes der Ausstellung zusammen.

Nach dem Besuch des Museums war ich nicht mehr traurig wegen Paris, sondern empört über die rücksichtslose Machtpolitik der USA. Während des Vietnamkriegs inszenierten die Westmächte den Kommunismus als internationale Bedrohung, um die verheerenden Bombenangriffe und den Einsatz chemischer Waffen zu rechtfertigen. Heute benutzen die USA und ihre Verbündeten den islamischen Terrorismus als Legitimation für die neoimperialistische Aussenpolitik im nahen Osten. Dabei war es gerade diese Politik, die den Nährboden für den islamischen Terror lieferte.

Übrigens. Der Kaffee in Vietnam ist von ausgezeichneter Qualität und wird mit gesüsster Kondensmilch und Eis serviert. Saugut.

 


Anita Blumer,
10.12.2015, 114. Jahrgang, Nr. 344.

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