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«Wandzeitung» vom 11.4.2015:

Sind nur die Schlepperbanden schuld?

Flüchtlingselend.

Im Mittelmeer steigt die Zahl der Flüchtlinge. Im Nahen Osten, in Lybien, in Afrika gehen die Kriege weiter, die Unruhen, die Auflösungen staatlicher Ordung. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Den Menschen, die bisher in Flüchtlingslagern der Region ausgeharrt haben – stets voller Hoffnung, sie dürften «bald wieder» in ihre Heimat zurück – kann es niemand verdenken, wenn sie das aussichtslose Nirgendwo ihrer Zeltstädte mit Orten tauschen wollen, wo sie eine bessere Zukunft sehen. Mit Orten, wo es sicher ist und Schulen für ihre Kinder gibt.

Vieles wird momentan geschrieben und gezeigt, wie es war vor siebzig Jahren: Ende des zweiten Weltkriegs, Zerstörung, Vertreibung, Flucht. Genügend Stoff für uns Europäer, um uns hineinversetzen zu können in die Lage der Kriegsflüchtlinge des Jahres 2015. Aber gut: Wer mit wachsendem zeitlichen Abstand die Nöte von damals nur mehr aus Erzählungen von Eltern und Grosseltern kennt, dem gehen sie existentiell nicht mehr nahe. Oder wir schütteln sie ab, wie etwas das wir nicht mehr hören können und mögen. So wird einem menschliches Leiden fremd.

Im Mittelmeer, so befindet die EU-Grenzschutzbehörde Frontex, habe das Vorgehen der Schlepper «einen neuen Grad an Grausamkeit» erreicht. Ja sicher, es sind entsetzliche Bilder: Hunderte von Menschen in rostenden Oeltankern und schrottreifen Schlachtviehfrachtern, zusammengepfercht wie einst die schwarzen Sklaven auf der Fahrt in die «schöne» Neue Welt, sich selbst und dem Treiben der Wellen überlassen, ausgeliefert – so Frontex – dem «Multimillionengeschäft» des Menschenhandels. Aber war die bisherige Methode denn weniger grausam? Die ebenfalls lebensgefährliche Flucht auf Schwärmen von winzigen, überfüllten, löchrigen Barken?

Schon all das geschah unter den Augen Europas, das tatenlos einer Tragödie nach der anderen zugesehen hat, als wären sie gottgegeben und unausweichlich. Weniger grausam? Eiskalter Zynismus steckt schon im Namen «Front-ex». Er klingt (Front), als gälte es, einen kriegerisch angreifenden Feind draussen, «ex!» zu halten. Er signalisiert, die Menschen, die übers Mittelmeer kommen, attackierten unseren Wohlstand, unsere Sicherheit. Dabei sind die Bootsflüchtlinge, gerade in den Zeiten dieses neuen, unheimlichen Nahostkrieges, in ihrer allergrössten Mehrheit selbst Attackierte – angegriffen nicht (nur) in ihrem Wohlstand, sondern an Leib und Leben. Und allzu gerne verdrängt das zynische Europa, dass sein eigener Wohlstand – jedenfalls der in Kaufkraft ausgedrückte – nicht zuletzt darauf beruht, dass die Näherinnen unserer so schön billigen Kleidung, die Fertiger unserer elektronischen Lieblingsspielzeuge mit Hungerlöhnen abgespeist werden und dass sie zu Bedingungen arbeiten, die Europa auf eigenem Boden als krasse Unmenschlichkeit verurteilt.

Es sind nicht nur kriminelle, profitgeile Schlepper, es ist – wenn auch in erster Linie – nicht nur der Krieg, der Menschen auf lebensgefährliche Boote zwingt, wenn sie zu Hause keine Lebenschance mehr haben. Es ist auch Europa. Und Europa heisst: WIR!

 

 


Ludi Fuchs,
11.4.2015, 114. Jahrgang, Nr. 101.

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