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«Wandzeitung» vom 11.11.2015:

Eine Kindergeschichte? Teil 2:

Tatze und Knopf.

«Also Wolf kann ich dich nicht nennen, das ist zu gewöhnlich», sagte Knopf keck und kratzte sich am Kopf. «Steh bitte einmal auf, damit ich dich besser anschauen kann. Oder hast du etwas dagegen einen Namen zu bekommen?» Fast hätte er vergessen, dass er ein Winzling war und der Wolf ihn mit einem Bissen runterschlucken könnte, wenn ihm danach wäre. «Das wäre schon schön!», meinte der Wolf geschmeichelt und stand eilig auf.

Knopf legte seine Hand unters Kinn und tippte sich mit dem Zeigefinger an die roten Wangen. «Hmm ... Blauauge, ginge, gefällt mir aber nicht.» Der Wolf sah erwartungsvoll zu ihm hoch. Aufgeregt trat er von einer Pfote auf die andere. Knopf musterte ihn vom Kopf bis zu den … «Ich hab’s, das ist es!» Er sah dabei triumphierend auf die eine schwarze Pfote des Wolfes. «Ich werde dich Tatze nennen. Was sagst du?» Knopf strahlte über beide Ohren und sah nun seinerseits erwartungsvoll herab.

«Tatze, das ist ein guter Name. Der gefällt mir, hat etwas Verwegenes.» Der Wolf war so begeistert, dass er kurz aufheulte. Knopf lachte so laut er konnte und war sehr zufrieden.

«Wie heisst du denn eigentlich?», wollte Tatze wissen, als sie sich beide beruhigt hatten. Knopf erzählte es ihm und auch die traurige Geschichte von der Trennung seiner Familie. Der Wolf schaute nachdenklich. So verschieden waren sie also gar nicht. Er schüttelte sich und die Traurigkeit weg, die ihn einen Moment lang ergriffen hatte. Er besann sich zurück an das Schöne, das er gerade erlebt hatte. Er war glücklich darüber und sagte zum Zwergenkind: «Heute ist ein besonderer Tag. Ich habe einen Freund gefunden, der mir einen Namen geschenkt hat. Ich möchte dir auch etwas geben! Hast du einen Wunsch?»

Knopf war überrascht, aber er musste nicht lange überlegen. «Darf ich in deinem Fell wohnen? Ich meine, so lange du nicht auf die Jagd gehst. Ich bin Vegetarier und kann sowieso kein Blut sehen.» – «Vege … was?» Tatze verstand schon wieder nichts. «Vegetarier sind Wesen, die kein Fleisch essen, weil sie davon überzeugt sind, dass das nicht gut für sie ist», erklärte der Zwerg stolz und streckte die Brust raus. «Was es nicht alles gibt!», staunte der Wolf. «Also ich kann mir ein Leben ohne Fleisch nicht vorstellen», sinnierte er. «Nun, dein Magen und dein ganzer Körper sind auch nicht dafür gemacht», beruhigte ihn Knopf. Tatze knurrte zufrieden. «Ja dann ist es ja gut. Das können wir also so machen! Wenn du bei mir bleibst, dann sind wir beide nicht mehr so allein.» Knopf nahm Anlauf und sprang ins weiche Fell des Wolfes. Er kuschelte sich hinein und war glücklich.

Fortan streiften sie gemeinsam durch die Wälder. Während der Wolf zur Jagd ging, sammelte Knopf Früchte, Pilze und Beeren und ass sie. Er führte ein gutes Leben, aber tief drinnen im Herzen fehlte ihm etwas, seine Familie. Wenn Knopf zu viel schwatzte, dann sagte Tatze einfach, dass er Hunger hätte und einen Hasen jagen wolle. Er mochte Knopf ja nicht beleidigen. Dann setzte er seinen Freund bei der nächsten Beerenstaude ab und zog ein bisschen um die Bäume, bis er das kleine Zwergenkind vermisste. Und das dauerte in der Regel kaum lange.


Momo Appenzeller,
11.11.2015, 114. Jahrgang, Nr. 315.

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