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«Wandzeitung» vom 18.4.2015:

Was ist wahr?

Wem können wir glauben?

Das Thema «Wahrheit» hat mich hier schon einmal beschäftigt. Die beiden heute zu beschreibenden Ereignisse haben sich praktisch zur gleichen Zeit ergeben. Kurz nachdem am 24. März eine A320 der Germanwings mit 150 Passagieren in unwegsamen Gebirge zerschellte, verkündete ein französischer Staatsanwalt, der sich allein im Cockpit befindliche Co-Pilot habe mit Absicht einen Sinkflug eingeleitet und sich weder durch den an die Türe polternden Captain noch durch die Flugsicherung abhalten lassen.

Seine Aussagen bewirkten, dass wir alle von der von ihm suggerierten Tatsache eines Suizids ausgingen. Das wiederum löste die Reaktion eines aktiven und erfahrenen schweizerischen A320-Piloten aus, der in einer Leserzuschrift an die NZZ von voreiligen Schlüssen sprach. Sollte nämlich ein plötzlicher Kabinendruckabfall aufgetreten sein, hätte sich der Co-Pilot der sehr anspruchsvollen Aufgabe eines «Emergency Descent» gegenüber befunden, dem forcierten Absinken, um in tieferer Flughöhe den Flugzeuginsassen das Überleben in der dichteren Atemluft zu ermöglichen. Dieses gestatte im Ablauf keinerlei Funkkommunikation, und unter dem Eindruck des von ihm gesteuerten Sturzfluges werde er «keinesfalls ein Einlassbegehren an der Cockpit-Türe wahrnehmen».

Welche der beiden völlig anderen Abläufe hat sich nun wirklich zugetragen, oder gibt es nochmals andere Möglichkeiten? Selbst wenn wir dies im Zeitpunkt der Publikation dieses Beitrags wissen sollten, wäre die Aussage des französischen Staatsanwaltes jedenfalls verfrüht gewesen, eine Aussage, die wir alle als absolute Wahrheit ansahen.

1990 wurde in Arizona Debra Milke des Mordes an ihrem 4-jährigen Sohn Christopher schuldig befunden und später zur Todesstrafe verurteilt. Die Begründung lautete, sie habe zwei Freundinnen beauftragt, ihren Sohn umzubringen, um das Geld aus seiner Lebensversicherung zu kassieren. Darnach war sie 25 Jahre im Gefängnis, wovon 22 Jahre in der Todeszelle – wofür die Amerikaner den für mich noch schlimmeren Ausdruck der death row verwenden – nie wissend, wann die angeordnete Hinrichtung stattfindet. Für ihre Situation ist das Wort grausam noch ein beschönigendes Wort. Die Verurteilung erfolgte im wesentlichen aufgrund der Aussage eines Polizeidetektivs, der angab, die Frau habe ihm gegenüber gestanden, was sie von Anfang an bestritt. Inzwischen, nach all der langen Zeit, hat sich die Unglaubwürdigkeit dieses Polizisten herausgestellt.

Am 23. März dieses Jahres, einen Tag vor dem erwähnten Flugzeugabsturz, hat darum ein Richter die Frau vom Mordvorwurf freigesprochen. 25 Jahre bestand die Wahrheit darin, Frau Milke habe ihren Sohn morden lassen. Heute besteht die Wahrheit im Gegenteil. Wem glauben? In einem Monat sollen hier weitere Beispiele zu diesem Thema gebracht werden.

 


Ruth Huber,
18.4.2015, 114. Jahrgang, Nr. 108.

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Standpunkte:

26.4.2015, 16:24 Uhr.

Haymo Empl schrieb:

Ruth Huber spricht ein grosses Problem an. Es wird selten thematisiert und ich fühle mich gegenüber den vielen «Wahrheiten» recht hilflos. Verschiedene Vorkommnisse in der Welt können wir glauben oder nicht, wie die oben geschilderten. Sie haben auf unser Leben keinen Einfluss. Wieder andere sind für uns relevant und wir haben unsere Handlungsweise darauf auszurichten. Es wäre interessant zu wissen, wer nach welchen Informationsquellen Entscheidungen trifft. Nicht einmal die Bibel hat immer Recht – die Aussagen sind in entsprechendem Kontekt zu lesen und zu interpretieren. Wer gibt Antworten zur Frage: «Wem können wir glauben?»


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