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«Wandzeitung» vom 18.5.2015:

Was ist wahr (3)?

Was glauben?

Wie angekündigt, greife ich das Thema «Wahrheit» nochmals auf. Die kirchliche Segnung eines homosexuellen Paares durch den Priester in Bürglen löste bekanntlich bei Bischof Huonder eklatantes Missfallen und Widerspruch aus. In diesem Zusammenhang führte er anfangs März vor jungen Priestern aus, ein Priester wisse durch Gottes Offenbarung, dass gewisse Dinge die Menschen ins Verderben führten, deshalb müsse er diese Dinge zurückweisen. Wenn die Heilige Schrift sage, etwas sei ein «Greuel vor dem Herrn» (gemeint ist die Homosexualität) «dürfen wir die Menschen nicht in der Meinung lassen, wenn es aus Liebe geschehe, sei es gut und könne durch eine Segnung gleichsam saniert werden» (NZZ 16.3.15). Seine Haltung wird von vielen Leuten kritisiert, die durchaus im Katholizismus verwurzelt sind. Welche Meinung ist nun der richtige Glaube? (Ich habe dazu natürlich eine Meinung. Aber auf die kommt es hier nicht an. Sondern darauf, dass beide Seiten von ihrer völlig anderen Wahrheit überzeugt sind.)

Als im August 2014 die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) uns alle mit der Enthauptung eines US-Journalisten schockierte, erklärte Obama an seinem Ferienort Marth‘s Vineyard, es gebe «keinen Gott, der eine solche Tat gutheissen würde». Es war die Erklärung des machtlosen mächtigsten Mannes der Welt. Seine Aussage meint offenbar, es gebe verschiedene Götter auf dieser Welt, und in diesem Punkt seien alle gleicher Meinung. Interessant ist dies, weil alle Leute, die an einen Gott glauben, auch glauben, ihrer sei der einzige und es existiere ausser ihm kein anderer. Nur glaubt der eine an diesen Gott, der andere an einen anderen. Welcher existiert nun? Wessen Regeln gelten?

Immer wieder haben Menschen versucht, solche Widersprüche, wenn nicht zu lösen, so doch zu erklären. Zum Thema Religion denke ich da etwa an Gottfried Ephraim Lessings wunderbare und beeindruckende Ringparabel in seinem 1779 geschriebenen «Nathan der Weise». Drei Söhne stritten sich, wer nun von seinem Vater den versprochenen echten Ring erhalten habe. Der angerufene Richter erklärte unter anderem: «Der echte Ring war nicht erweislich, fast so unerweislich, als … (es) der rechte Glaube ist.» Und etwas später: «Eure Ringe sind alle drei nicht echt. Der echte Ring vermutlich ging verloren».

Noch pointierter drückt sich Tucholsky aus, der von 1890 bis 1935 lebte. Als ich 18-jährig war, las mir ein Freund Geschichten von ihm vor. Sie packten mich derart, dass ich aus meinem Taschengeld mein erstes rororo-Bändchen von Tucholsky kaufte. Schon damals war ich fasziniert von seiner Aussage darin, die ich als Schlüsselsatz zum Thema Wahrheit ansehe, und ich bin es noch heute: «Alles ist richtig, auch das Gegenteil». Es ist dies, jedenfalls einstweilen, meine letzte Kolumne hier. Ich bin glücklich, dass ich das hier zum Abschluss noch anbringen konnte.

 


Ruth Huber,
18.5.2015, 114. Jahrgang, Nr. 138.

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