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«Wandzeitung» vom 18.12.2015:

Sehr geehrte Frau (Noch)-Bundespräsidentin, liebe Simonetta:

Dissonanzen im Hohelied
der direkten Demokratie.

Mit der Neujahrsansprache am 1.1.15 hast du das Präsidialjahr eröffnet, die direkte Demokratie gepriesen und nach dem gefragt, was unser Land ausmacht. «Ist es unsere Tradition, sind es unsere Wurzeln? Oder ist es unsere Offenheit, unsere Verbundenheit und unsere Solidarität?» Das ganze Jahr über hatte ich dies im Ohr und deinen Leitsatz für die politische Kultur: Direkte Demokratie heisst direkte Verantwortung! In deiner 1.-August-Rede erklärtest du, nirgendwo sonst auf der Welt hätten die Bürgerinnen und Bürger so viel Macht und so viel Verantwortung wie in der Schweiz. «Genau das gefällt mir an unserer Demokratie: Sie ist mutig. Sie traut uns allen viel zu.» Nun am Ende des Jahres bedrängt mich die Frage, ob wir dieses Vertrauen rechtfertigen und die Verantwortung wahrnehmen.

«Entweder muss es zum Kollaps kommen. Oder eine neue politische Bewegung kann die nötigen Veränderungen vorher bewirken.» Das war das Fazit von G. Maxton, Club of Rome, am Schluss seiner Überlegungen zur Klimakonferenz in Paris, in der die vereinigten Nationen mit über 140 Regierungschefs über Klimaziele, Finanzierung und einen Klimavertrag diskutierten. Nachdem die letzten Klimakonferenzen ohne Erfolg blieben, ist heute die Dringlichkeit eines mutigen und konsequenten Schrittes der Weltgemeinschaft gross. «Es ist unsere letzte Chance, ein Abkommen zu erzielen, das die Erhöhung der Temperatur um mehr als 2° verhindern könnte. Es fehlte bislang der politische Wille, es gibt so viele gegensätzliche Interessen, nationale, politische, ökonomische.» Nun liegt das «Pariser Abkommen» auf dem Tisch. Aber es fehlt an einer globalen Autorität, die verbindliche Klimaziele, ungeachtet von einzelnen nationalen Interessen, durchsetzt. Die UNO ist ganz sicher nicht diese Autorität, und am Ende müssen die Nationen, und das sind die Regierungsvertreter und in Demokratien das Volk, sich für die Solidarität mit den Hauptbetroffenen der Klimaveränderungen entscheiden. Und das bedeutet einerseits Finanzierung von wirksamen Klimaprojekten, Verzicht auf ökonomische Vorteile, gegebenenfalls auf Wettbewerbsfähigkeit und auf Ausbeutung der nicht erneuerbaren Ressourcen.

Wir alle wissen, dass sich die Schweiz schwer tut, Abstriche in Kauf zu nehmen und sich dem gigantischen Wohlstandsgefälle zu den Ländern des globalen Südens zu stellen. Volksentscheide sind eher mehr als weniger geprägt von den Eigeninteressen der Bevölkerung, und das hier und jetzt und ohne zu teilen. Immer mehr Leute fragen deshalb: Stehen demokratische Strukturen der raschen Bewältigung des Klimawandels im Wege? Oder noch deutlichere Stimmen: «Wir müssen die Demokratie zeitweise aufheben, um den Planeten zu retten.» Davon kann sicher keine Rede sein, weil keine alternativen Staatssysteme bisher bessere oder nicht einmal ähnlich gute Erfolge erzielt haben. Trotzdem höre ich das Hohelied der Demokratie heute mit Dissonanzen. Was denkst du darüber?

 


Maja Ingold,
18.12.2015, 114. Jahrgang, Nr. 352.

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