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«Wandzeitung» vom 16.4.2015:

Heimatgefühle in Südamerika:

Uruguay - die Latino-Schweiz.

Uruguay und die Schweiz weisen in der Tat viele Gemeinsamkeiten auf. Was zuerst auffällt, ist, dass beide Länder klein sind und wenig Einwohner haben. Uruguay ist mit 176 000 Quadratkilometer rund viermal so gross wie die Schweiz, hat aber nur etwa drei Millionen Einwohner, wovon zirka 1,7 Millionen in der Hauptstadt Montevideo leben.

Eine andere Gemeinsamkeit ist das Verhältnis zu einem der Nachbarländer: Was Deutschland für die Schweiz ist, ist Argentinien für Uruguay. Der Uruguayer ist bescheiden, der Argentinier beziehungsweise der «porteño», der Einwohner von Buenos Aires, nicht so, er ist lauter und er mag die Urugayos mehr als der Urugayo den Argentino mag. Die Lebensqualität sei gut, liest man, zehn Prozent der Bevölkerung sei arm, zehn Prozent reich, das Land habe eine breite Mittelschicht, so wie die Schweiz.

Uruguay scheint ein offenes Land zu sein, nicht zuletzt dank der letzten Amtszeit von Ex-Präsident José Mujíca, dem «ärmsten Präsidenten der Welt». Im Februar 2015 gab der fast 80-jährige Ex-Guerrillero sein Amt ab. Während seiner Amtszeit lebte er in einem einfachen Landhaus in der Nähe Montevideos und sein grösster Luxus war sein VW-Käfer. Einmal sei ein Artikel in der Zeitung erschienen über einen Uruguayer, der Autostopp machte und der Präsident himself beziehungsweise sein Chauffeur hielt an und nahm den Verdutzten mit!

Was sich im Land verändert hat in der zehnjährigen Amtszeit Mujícas? Die Abtreibung wurde legalisiert, die gleichgeschlechtliche Ehe ebenso. Als ich im März 2015 dort war, erschien in einer Sonntagszeitung ein einseitiger Bericht mit Fotos über die Liebesgeschichte und Hochzeit zweier Polizistinnen. Das Land sei nicht sehr katholisch – konsequenterweise bezeichnen die Uruguayer die Osterwoche nicht als «Semana santa» wie der Rest Lateinamerikas, sondern als «Semana del turismo». Uruguay zeigt sich human: Mindestens zwei Guantánamo-Häftlinge hat das Land aufgenommen und ihnen eine neue Heimat gegeben.

Bevor ich nach Uruguay reiste, dachte ich, Montevideo liege am Meer. In einem argentinischen Film sah ich, dass die Hauptstädter an ihren hauseigenen Stränden baden. Was ich nicht wusste ist, dass es sich beim Gewässer nicht ums Meer, sondern um den Río de la Plata handelt! Und dass das uruguayische Colonia von Buenos Aires in gut einer Stunde Schiffsreise zu erreichen ist.

Da soll mir nochmals einer kommen und sagen, Reisen bilde nicht. Es kommt wohl drauf an, wie man reist und ob und in welcher Sprache man mit den Einheimischen spricht. Welches Bild sich mir in Uruguay am meisten eingeprägt hat? Die Uruguayer, die ihr Mate-Gefäss und ihre Thermosflasche nicht loslassen – weder auf ihrem Weg zur Arbeit, in der Freizeit auf der Strasse, im Auto – ja – und eingeklemmt zwischen Oberarm und Oberkörper auf dem Velo. Sie geben selber zu, süchtig nach den Mate-Kräutern zu sein.

Seit kurzem bin ich in San José, Costa Rica. Früher bezeichnete man dieses Land als die Schweiz Lateinamerikas, auch heute hört man dies noch oft. Bis jetzt spüre ich nichts davon. Mal sehen.


Rosmarie Schoop,
16.4.2015, 114. Jahrgang, Nr. 106.

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