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«Wandzeitung» vom 13.6.2014:

Es soll Gerechtigkeit geschehen:

Selbst wenn die Welt zugrunde geht.

Sobald der Bus an der Haltestelle einrollt, werden die Ellenbogen ausgefahren, kampf- und stossbereit, kämpfen sich mitten durch die Menschenmasse, die verzweifelt auszusteigen versucht ... Haben Sie manchmal auch das Gefühl, dass die Menschen in unserer Gesellschaft immer unzufriedener werden? Stets in der Angst leben, zu kurz zu kommen? Der Volkszorn steigt an, es wird ihm eine gute Wachstumsgrundlage geboten. Von Abstimmungsplakaten und Zeitungen, die besonders gerne besonders grosse Buchstaben drucken – aber nie besonders viele.

Gut genährt ergiesst sich dieser Volkszorn nun vier bis fünf mal im Jahr auf die Stimmzettel, als Ausdruck des Gesamtgefühls: der Unsicherheit, der Furcht, man könnte uns etwas von unserem Wohlstand wegnehmen. Der dunklen Ahnung, dass «die da oben» sowieso machen, was sie wollen. Initiativen, deren Erfolgsrezept das Schüren von Angst ist, werden lanciert und oft breit unterstützt.

Das führt zu demokratisch legitimierten Entscheidungen, wie sie in den letzten Jahren gefallen sind, und so zur Veränderung unserer Bundesverfassung.Einer Verfassung, die auf Rechtsgleichheit, Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit des Einzelnen beruht.

Die Entscheidungen sind nicht unverständlich. Weil sie auf Emotionen beruhen, und zwar grösstenteils nicht auf positiven. Weil uns scheinbar einfache Lösungen serviert werden. Durch Einwanderungsbeschränkungen werden Verkehrsprobleme weggewischt. Die Bilateralen? Kein Problem. Durch Minarettverbote löst man den Konflikt vieler Menschen mit dem Wachstum des Islams in der Schweiz. Information und Integration? Der Konflikt mit übergeordnetem Recht? Nebensächlich. Indem man jedem Erwachsenen, der sexuellen Kontakt mit einem Minderjährigen hatte, ein lebenslanges Berufsverbot erteilt, macht man den Staat sicherer. Abwägung und Einzelfallbetrachtung? Finden hier keinen Platz.

Man sucht Schuldige und wird fündig. Die Konsequenzen sind schwarz-weiss. Und gefährden genau deshalb unser Rechtssystem.

Denn dieses fusst darauf, dass Richterinnen und Richter abwägen können, sollen müssen. Es fusst darauf, dass die Menschen, die Straftaten begehen, genauso individuell sind wie die Abwägung, die in jedem Fall vorgenommen werden muss.Es fusst auf der Unabhängigkeit der Judikative, die gefährdet wird durch den fortschreitenden Entzug des Ermessens bei der Einzelfallbetrachtung. Noch stärker gefährdet wird sie, wenn Rechtsprechende und Gutachter mit einer weiteren Initiative aus dem Hause Anita Chaaban haftbar für ihre Entscheide gemacht werden sollen.

Ich lerne gerade für meine Prüfung über die antike Rechtsgeschichte. Und da stolperte ich über den Satz: «fiat iustitia, pereat mundus» – es soll Gerechtigkeit geschehen, und wenn darüber die Welt zugrunde geht. Ich bewundere die antike Rechtskultur, bin gleichzeitig aber auch froh, dass wir uns juristisch und politisch weiterentwickelt haben. Das sollten wir meiner Meinung nach nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen. Unsere Demokratie basiert auf Verantwortungsbewusstsein und eigenständigem Denken. Werden wir ihr also gerecht.

 

 


Anita Hofer,
13.6.2014, 113. Jahrgang, Nr. 8.

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Standpunkte:

14.6.2014, 18:40 Uhr.

Hansjörg Müller schrieb:

Das Problem sind nicht die Symptome. Das Problem ist die Sucht selber. Nur die, welche sich von ihr befreit haben, sehen ihr wahres Gesicht.


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