Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 16.12.2015:

An der Abdankung wurde das Gedicht «Firnelicht» von Conrad Ferdinand Meyer gelesen. «Ein stilles Leuchten» umschreibt das Wesen meines Vaters gut. Für mich und viele andere war er:

Ein guter, stiller, feiner Mensch.

«Es ist immer zu früh», schrieb mir jemand. Mein lieber Papi starb am 19. November 2015, am letzten schönen Herbsttag. Am Vormittag hatten wir noch zusammen die Sitzbank in ihr Winterquartier gebracht. Am Mittag fuhren wir los, er im Auto nach Wülflingen, wo er sich mit Witwern vom Schweizerischen Alpenclub, SAC, zum Mittagessen traf, und ich auf dem Velo in die Stadt. Wir winkten uns zu, als ich rechts in den Feldweg einbog und er geradeaus weiterfuhr. Am folgenden Mittag, wir hatten abgemacht, fand ich ihn im Wohnzimmer an derselben Stelle, wo meine Mutter vor 19 Jahren hingeschieden war. Ich schätze, dass er am Vortag gegen 16 Uhr starb, ohne zu leiden. «Es ging schnell», meinte auch sein Hausarzt. Das Auto war einwandfrei parkiert, das Portemonnaie an den üblichen Ort gelegt, die Schuhe ausgezogen und die Schnürsenkel ordentlich darin verstaut. Die Leselampe brannte, vielleicht hatte er sich nochmals über das auf dem Salontisch liegende fast vollständig gelöste Kreuzworträtsel gebeugt. Ich bin sicher, dass mein Vater auf mich gewartet hat, seine Seele war noch da, als ich ihn fand. Auf meinen Vater war immer Verlass, er hatte ein gutes Timing und konnte seine Kräfte gut einteilen.

Nachbarn, Arbeitskollegen, SAC-Kameraden, Verwandte und Bekannte haben mir Trauerkarten geschickt. Jene vom Pfarrer, der an jenem Donnerstag auch am SAC-Witwertreff war, kann ich fast auswendig. «Es ist, als ob ein Engel bereits an der Haustüre gewartet hätte, um Ihren heimkehrenden Vater abzuholen», beginnt sie. «Möge Ihnen das Bild Ihres gütigen Vaters zu Ihrem Wegbegleiter werden. Mir war er ein lieber Kamerad», endet sie.

Seit mein Vater nicht mehr auf dieser Welt ist, spüre ich ihn tief im Herzen. «Er war ein guter Mensch, einer von den Stillen, Verlässlichen, deren Würde und Ehrenhaftigkeit überzeugen», schreibt Vero. Seinen Arbeitskollegen war er ein «geschätzter, lieber, ruhiger Kollege», seinen SAC-Kameraden ein «liebenswürdiger, besonnener, zufriedener Wanderkamerad mit grossem Wissen». Sein ehemaliger Hausarzt bezeichnet ihn als «liebenswerten, stillen, bescheidenen Mann». Mein Vater wäre wohl «leise überrascht», wie Kyoko es ausdrückt, wenn er auf den Trauerkarten lesen würde, dass manche sein Leben als spannend beschreiben. Alfonso sagt, der Tod meines Vaters sei kein Verlust, denn wir tragen ihn im Herzen, sondern eine Absenz.

Mein Vater beklagte sich grundsätzlich nie. Mir sagte er hin und wieder, dass der fehlende Appetit ihn am meisten störe. Aus der Situation machte er stets das Beste. Zwei Tage vor seinem Tod waren wir in der Oskar Reinhart Stiftung. Mit einem Freund wollte er noch mit der Fähre von Romanshorn nach Friedrichshafen fahren. Auf dem Stubentisch lag sein Mitgliederausweis des Verkehrshauses Luzern, wahrscheinlich wollte er nächstens dorthin.

Ein ehemaliger Lehrer von mir schrieb: «Alles auf dieser Erde ist Energie. [...] Und Energie ist nicht zerstörbar, nur wandelbar. Wenn dein Vater auch diese Erde verlassen hat, so schwingt sein Geist noch in deiner Nähe.» Deshalb schreibe ich dies für meinen Papi und für alle, deren Herzen sich in der Trauer mit meinem verbinden.


Rosmarie Schoop,
16.12.2015, 114. Jahrgang, Nr. 350.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.