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«Wandzeitung» vom 20.5.2015:

Drei Monate in den USA:

Viele Klischees haben sich bestätigt.

Nach drei Monaten in den USA haben sich für mich viele Klischees bestätigt. Zum Beispiel ist Käse tatsächlich auf jedem Gericht, sogar auf dem Salat. Doch interessanterweise ist der amerikanische Käse trotz häufigem Vorkommen praktisch geschmacklos. Ebenfalls auf jedem Teller zu finden sind saure Gurken. Nicht die putzigen Mini-Gürkchen, die wir zu Raclette und Gschwellti essen, nein, riesige geviertelte Gurken, nur sauer. Das Stereotyp der überfreundlichen Amerikaner ist ebenfalls keineswegs übertrieben. Sie sind freundlich. Und zwar oftmals grundlos, was ja in unserer Eidgenossenschaft eher eine Seltenheit beziehungsweise ein Hoch der Gefühle darstellt.

Doch so unterschiedlich die Schweiz und die Vereinigten Staaten auch sind, sie haben auch einige Gemeinsamkeiten. Etwa das demokratische System, das den amerikanischen Bürgern das Wählen wie auch das Abstimmen über gewisse Sachfragen erlaubt. Ein nicht zu unterschätzendes Privileg, in dessen Genuss ja auch wir kommen dürfen. Wie ich feststellte, gibt es politisch gesehen noch eine weitere Gemeinsamkeit: die erschreckend tiefe Stimmbeteiligung. Ist uns unser Privileg verleidet? Sind wir uns gar nicht mehr bewusst, wie privilegiert wir sind? Erscheint uns unser grosses Spektrum an Möglichkeiten zu selbstverständlich? Und falls das zu bejahen ist: Haben wir sie dann überhaupt noch verdient, die direkte Demokratie?

Natürlich! Schreit es jetzt in ihren Gedanken. Ich selbst habe ja meine Pflicht erfüllt, meine Kreuzchen gesetzt, meine Listen aussortiert und eingeworfen. Aber in einer Demokratie, in der die Mehrheit der Wähler eine deutliche Minderheit nicht nur der Bevölkerung, sondern der Stimmberechtigten an sich ist, müssen wir versuchen, die Zeichen ohne Selbstgerechtigkeit zu deuten. Vielleicht müssen wir aufhören, den Nichtwähler zu verdammen, als desinteressiert darzustellen und alleinig für das Scheitern unseres politischen Systems verantwortlich zu machen.

Vielleicht müssen wir uns mit dem Gedanken befassen, dass manche und mancher unterdessen das Couvert verschlossen lässt, nicht aus Ignoranz, Dummheit oder Desinteresse, sondern weil er oder sie keine der Parteilisten mit gutem Gefühl einwerfen kann.

Vielleicht müssen wir uns fragen, ob wir als Politisierende, als Parlamente, als Regierungen, als Parteien, glaubwürdig genug sind. Wenn mir in diesen fast drei Jahren im Winterthurer Parlament eines klar geworden ist, dann dass nicht pure Ehrlichkeit und das Befolgen der jeweiligen Moralvorstellungen die Entscheidungen beeinflussen. Sondern der Eigennutz, die Vorteile für spätere Zusammenarbeit von Fraktionen, die Aufmerksamkeit der Medien, das Schüren von Emotionen oder einfach der eigene Narzissmus. Können wir also bitte aufhören so zu tun, als käme dieses passive Wahlverhalten aus dem Nichts?

Wollen wir dieses System retten, das, wie Winston Churchill passend sagte, die beste aller schlechten Staatsformen ist, so müssen wir uns nicht nur darüber Gedanken machen, wie wir die Bevölkerung (wieder) zum Wählen bringen, sondern auch, wie wählbar wir denn eigentlich sind. Sie wissen schon: Zerscht emal vor de eigete Huustüre bäsele.

 

 


Anita Hofer,
20.5.2015, 114. Jahrgang, Nr. 140.

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