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«Wandzeitung» vom 20.8.2015:

Eine ganz, ganz starke Hassliebe:

To facebook o not to facebook.

Bevor ich drei Monate in die Staaten verreiste, hatte ich mir ein Facebook-Konto eingerichtet. Damit meine Bekannten via social media auf aktuellem Stand gehalten werden konnten, wo ich war und was ich tat. Das war zumindest meine offizielle Begründung. In Wahrheit pflege ich eine ganz, ganz starke Hassliebe zu Facebook. Ich gehöre zu denen, die ihr Facebook-Konto immer mal wieder frustriert deaktivieren und dann lautlos aus dem Cyberspace verschwinden. Ich weiss, shame on me, so eine, die dadurch nur Aufmerksamkeit will oder sich à la «Facebook isch eh mega selbstdarstellerisch und es het imfall Studie geh wo zeigt hend dass Facebook depressiv macht!» wichtig machen muss. Nein.

Einerseits bin ich über alle Massen neugierig und klatschinteressiert. Auch wenn der Betroffene in die Parallelklasse der Unterstufe ging. Andererseits ist mit der Nutzung von Facebook wirklich viel nerviges Zeug verbunden. Zum Beispiel Verlobungs-, Hochzeits- oder Babyfotos. Lueg, da isch es Foti vo mim Baby. Es schlaft. Lueg und da issts öppis. Jöö. Und lueg, da au, aber us meh andere Winkel fotografiert! Oder all die Fotos von Essen. Lueg, das isch mis Rindgschnätzlete mit Rösti und Senfsauce! #enguete! Auf einen solchen Rindgschnätzlete-Post folgt dann die obligatorische Diskussion über Veganismus und die jetzt voll angesagte Paleo-Diät. Übel auch: politische Posts. Ob vom Birkenstock tragenden Parteigenossen (Lueg, da isch die neust Studie wo seit, dass dMigrationsström imfall keis Chaos verursached! Und da no es lustigs Comic weg de 2. Gotthardröhre!) oder vom halbgeouteten Nazi mit Rechtschreibschwierigkeiten (Lueg, das isch es Bild mit me Schwiizerchrüz druf! Das muesch like und teile, wend en stolze Eidgenoss bisch!).

Oder auch peinlich: Emotionsausbrüche aller Art. Das reicht von «Scho 3(!!!) wunderschöni Jahr mit mim Schnuckiputz! #endlesslove!» bis zu «Es git Mensche, die sött mer eifach verschüsse, ey! Ich säg jetzt voll nöd a wen die passiv-aggressivi Nachricht grichtet isch, aber de wos agaht de weisses denn scho!» Warum tun wir uns das an? Trauen sich viele Leute einfach nicht, Facebook zu löschen? Droht die soziale Isolation? Akute Unterversorgung von orthografisch und inhaltlich fragwürdigen Statusmeldungen und Urlaubsfotos mit schiefem Horizont vom ehemaligen Sek-Gspähnli?

Es stimmt schon; ohne Facebook verpasst man vieles. Zum Beispiel geht man bei Einladungen zu Klassentreffen schnell mal vergessen, und der neueste Tratsch muss dann auf andere Weise besorgt werden, etwa mit einem (voll retro!) Telefonat. Aber man wird eben auch verschont. Von Babyfotos und schrecklichen Duckface-Selfies (#nofilter#nomakeup), von politischen und religiösen Diskussionen auf dem intellektuellen Niveau von RTL, geführt von Personen mit dem IQ eines Kartoffelsacks.

Aber vor allem wird man davon verschont, sich selbst so wichtig zu finden, dass man denkt es würde irgendwen interessieren, was man gerade zu Mittag gegessen hat. Da nutze ich doch lieber diese monatlichen Texte der «Wandzeitung» für emotionales Gemecker und selbstdarstellerische Weltansichten! Und jetzt werde ich mein Facebook-Konto löschen. Endgültig. Vielleicht.


Anita Hofer,
20.8.2015, 114. Jahrgang, Nr. 232.

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