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«Wandzeitung» vom 20.10.2015:

Die Eidgenössischen Wahlen 2015 sind vorbei:

«Verarschen kann ich mich selbst.»

Zum Erscheinungszeitpunkt dieses Textes sind sie vorbei, die Eidgenössischen Wahlen 2015. Das Parlament ist von Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern neu zusammengewürfelt worden. Während des Schreibens bin ich gespannt, hoffe, vermute, fiebere mit, unterdessen als politisch Aussenstehende. Mir ist durchaus bewusst, welche Bedeutung Wahlen und Abstimmungen in unserer direkten Demokratie haben. Und natürlich habe ich gewählt.

Gleichzeitig geht es mir wie vielen anderen: Ich bin genervt von all den Plakaten, die Kandidaten mit gequält sympathischem Grinsen zeigen. Von den Flyern, den unsäglich einfallslosen Give Aways, den dämlichen Wahlsprüchen, sei es das von unten heraufschimpfende «Rechtsrutsch stoppen!», oder das untragbar dümmliche und traurig-ironische «Frei bleiben! SVP wählen.» Das Ganze wirkt so gekünstelt wie gezwungen, und vermittelt den Betrachtern vieles: vom offensichtlich immensen Drang zur politisch-narzisstischen Selbstdarstellung bis zu moralisch mehr als fragwürdigen Methoden des Anbiederns. Was meiner Auffassung nach nicht vermittelt wird, ist Vertrauenswürdigkeit. Aber hey, immerhin haben wir jetzt einen lässig-schweizerischen SVP-Wahlsong, mit albernen Tänzchen inklusive Hitler-Symbolik, mit einem dicklichen alten Mann, der sich mit der Anmut eines Kartoffelsackes in seinen Luxuspool schmeisst und sogar mit einem Lacher für den Zuschauer, als mittels K.O.-Tropfen eine ulkig-fidele Anspielung auf die Vergewaltigung einer politischen Gegnerin gemacht wird.

Von der gleichen Ecke aus kursieren auch wieder irgendwelche offensichtlich unrichtigen Grafiken – in einer wird einfach nur ein Drittel der Schweizer Bevölkerung aufgenommen, um die Angst vor Überfremdung ordentlich zu schüren. Hier wird so derbe verarscht, dass es fast wehtut. Der Aufschrei? Höchstens ein mediales Piepsen, eine Meldung, irgendwo. Im Gegenteil scheinen gerade jene Medien, die intellektuell ungefähr so anspruchsvoll sind wie die Dialoge auf RTL zur Mittagszeit, eher einer Art politischen Prostitution geneigt zu sein; Stichwort: Titelblatt. Der Facebookfeed dafür ist überschwemmt mit dem Selbstlob der Linken, sei es das ständige «Lueged, mer telefoniered imfall de ganz Tag zum Wähler/inne mobilisiere, alli zäme!<3», oder die regulär dargestellte moralische Überheblichkeit in Form von geteilten Bildern toter Flüchtlingskinder, versehen mit #ListeSoundso. Ich zweifle stark an der Systemfunktionalität unserer Staatsform, wenn ich mit solchen Methoden des Wahlkampfes konfrontiert werde. Notabene, weil sie zu funktionieren scheinen.

Auch wenn mich Fahrten im öffentlichen Verkehr oder das Niveau von Arena-Gesprächen derweil daran zweifeln lassen, glaube ich nicht, dass wir alle, die Wählerbasis, dumm wie Brot sind. Aber viele potentielle Wähler/innen, die geistig sogar in der Lage wären, das Wort «Ständeratskandidat» fehlerfrei zu buchstabieren, werden abgeschreckt. Von genau solchem Wahlkampfverhalten. Weil sie dieses Theater nicht ernst nehmen können. Weil sie keinen der Selbstdarsteller als ihre Vertretung im Parlament möchten. Weil sie denken:

«Verarschen kann ich mich selbst.»

 


Anita Hofer,
20.10.2015, 114. Jahrgang, Nr. 293.

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