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«Wandzeitung» vom 25.10.2015:

aufblickend zu den ...

klappertafeln.

jetzt haben sie also ausgedient, die faszinierenden klappertafeln im hauptbahnhof. wie auf ein altarbild blickte die reisende menschheit zu ihnen hoch und hielt andacht. reiseträumen hingegeben. stand doch da vor jahren sogar eine anzeige für einen schnellzug bis mailand, die mir die lust nach richtigem italienischen espresso in den mund zauberte. aber immerhin, münchen kam noch vor und wien. da konnte man stehen und fantasieren. winterthur verbunden mit der großen welt. und dann raschelt’s und klappert und rauscht, und vorbei sind zwei drei träume.

nun wird’s also digital. die mechanik sei ausgeleiert und nicht mehr zu reparieren. wer’s glaubt. die wahrheit verbirgt sich in einem beiläufigen sätzchen der medienmitteilung: im übrigen lasse sich werbung in die anzeige integrieren. gopfridstutznamaal! haben wir nicht schon genug der schreienden reklame vor und hinter und über uns, die weismachen will, was wir brauchen? jeder quadratmeter wand ist verkleistert rund um den bahnhof, in den bussen und zügen. sogar die fenster, die doch licht hereinlassen und aussicht zulassen sollen, werden umfunktioniert zu optischen sirenen.

danke, «wandzeitung», du bist nicht schreiend. wer dich lesen will, muss nähertreten – oder muss dich anklicken. leise töne sind es, und ich denke, nur wenige nehmen dich wahr. ein wohltuender gegensatz zu den hingeworfenen gratiszeitungen, zu den tausenden tonnen papier.

bei all dem lärm wächst die lust auszusteigen, nach irland auszuwandern, wo es noch grünes gibt, wo die straßen noch so sind, dass du abbremsen musst, wenn dich einer kreuzt, wo die menschen nicht so sehr aus sind nach schöner-größer-höher. aber nein, auch hierzulande, wenn wir suchen, finden wir rückzugsorte. o täler weit, o höhen, o schöner grüner wald! farbiger herbstwald.

ich wehre mich dagegen, einen neuen kleiderkasten anzuschaffen, denn dann wäre der kauf von neuen kleidern noch schwerer aufzuhalten. ich wehre mich dagegen, auf die vorschläge dieser werbeindustrie mich einzulassen. was ich noch kaufen könnte, es wäre in kürzester zeit alles abfall. ich versuche mit wenigem auszukommen und mein leben nicht mit waren aufzupeppen. ich versuche, den versuchungen zu widerstehen. ich versuche, den kalenderspruch von ernst reinhardt zu beherzigen: «die werbung verführt uns, neue dinge zu gebrauchen, bis wir sie zu brauchen glauben.»

der ökonom wird sagen, damit sei ich ein unverbesserlicher hemmschuh für das wirtschaftsleben. die produktion sei auf wachstum angewiesen. arbeitsplätze! arbeitsplätze? kürzlich war in der zeitung ein roboter abgebildet, der selbständig häuser hochzieht. bei den autos haben wir das schon länger: fließbänder ohne viel menschliches handanlegen. was daraus wird, sehen wir auf den straßen. immerhin braucht’s offenbar noch ingenieure aus fleisch und blut, um abgastests zu beeinflussen. das bringt der roboter noch nicht selbsttätig hin.

 

 


Alfred Vogel,
25.10.2015, 114. Jahrgang, Nr. 298.

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Standpunkte:

27.10.2015, 09:51 Uhr.

Haymo Empl schrieb:

Wie wahr die Zeilen von Alfred Vogel! Doch wir müssten uns darüber unterhalten, durch was die Kauflust ersetzt werden könnte. Eine kleine Möglichkeit wäre die Reparaturlust. Diskutieren wir doch über weitere Möglichkeiten, die Kauflust zu ersetzen! Begegnungen mit Menschen, die offen sind, zuhören können, nicht Diskussionen mit Monologen verwechseln ... Es sind Sachen. die meistens nicht zu kaufen sind.


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