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«Wandzeitung» vom 26.10.2015:

Alltägliches zur Saure-Gurken-Zeit:

(Fr)Iss oder/und stirb!

Gewaltige Odyssee von Cervelats. Die Tausend Tode eines Fleischmoleküls. Nach einer Recherche von Dominik und mir.

Dabei begann alles doch ganz vielversprechend. Das Ferkel wuchs im grossen Familienverband, fröhlich quickend, zu einer stattlichen Sau heran. Täglich durfte es sich im Schlammloch suhlen, bekam bestes Biofutter und extra Läckerli, wie einen Apfel oder Reste vom Wurstsalat des Bauern. Dann, der Tag kam viel zu früh, die Kiloanzeige passte haargenau, wurde das Tier verfrachtet. Viel zu eng in einem Transporter, zusammen mit den aufgeregt kreischenden Geschwistern. Die Fahrt war holperig und fühlte sich endlos an. Der Geruch im Schlachthof schmeckte nach Tod, sagen wir wie es ist. Die Sau schüttete Stresshormone aus, noch mehr als vorher. Der Kopfschuss kam dann doch überraschend und schon hing sie am Haken und tropfte aus. Da alles verwertet wird, wurde ein Teil also verwurstet. Die geschmeidige Fleischmasse wurde in Därme gepresst und als Cervelats deklariert in die Metzgerei gebracht.

Eine Frau kaufte sechs Würste mit dem Fleisch von der Sau. Eine schnitt sie in Scheiben und briet sie bei mittlerer Hitze an, um sie noch vor dem Abendbrot zu verspeisen. Die anderen Scheiben teilte sie in der Mitte nochmals und schüttete sie in eine Senf-Majo-Mischung mit frischen Gartenkräutern. Dazu kamen natürlich noch Würfelchen von einem reifen Appenzeller, sowie feine Rädchen von Gewürzgurken und geviertelten, knallroten Cocktailtomaten. Alles wurde kalt gestellt. Als die Familie komplett war, kam die Masse, gerecht verteilt, auf die Teller. Die Mutter verschwieg ihre Vorspeise, obwohl noch ein Hauch verräterischen Dufts in der Luft hing.

Die einen schlingen, die anderen kauen ewig, weil kauen ist wichtig! Alle sind sie durcheinander; Tomate, Gurke, Käse und Fleisch. Klein und kleiner. Die Mundschleimhaut löst schon mal Vitamine und Mineralstoffe heraus. Der Weg danach ist für unsere Darsteller derselbe; runterrutschen in den Magen, wo einen die unfreundliche Säure erwartet, die einen in seine Bestandteile auflöst. Der «Abfall» wandert dann durch meterlange Darmschlingen, die Masse wird braun. Idealerweise. Der kleine Peter hatte vorher zu viele Gummibärli verschlungen, heimlich! Woher er das wohl hat? Jedenfalls wirken die Süssigkeiten abführend. Zu viel Flüssigkeit wird dem Körper entzogen, die zu verdauende Masse verflüssigt sich, Gallenflüssigkeit verfärbt sie zu einem Senfgelb. Es gurgelt im Bauch, schmerzhaft und Peterli rennt. Gerade noch rechtzeitig. Der Leidensweg der Cervelats endet allesamt in der Schüssel. Vermischt mit viel Wasser kommen sie durchs gleiche Abflussrohr in die Kläranlage. Gefiltert und gereinigt landen die Fleischatome irgendwann wieder beim Bauern in der Leitung. Wo sie neue Schweine tränken. Und der Kreislauf geht weiter.

 


Momo Appenzeller,
26.10.2015, 114. Jahrgang, Nr. 299.

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