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«Wandzeitung» vom 30.7.2015:

Leben kann Lärm machen:

Wen stört’s?

Wie jedes Jahr sind Remo und ich zu zweit für drei Tage durch die Schweiz getingelt. Wir haben Sawiris Hotel in Andermatt begutachtet, das Goms erwandert, das Matterhorn auf der Wanderung von verschiedenen Blickwinkeln angeschaut – wir sind in Montreux bei Fredy Mecury gesessen, mit dem Zug durchs Simmental gefahren und neugierig durch die Stadt Thun geschlendert. Wir haben viele Facetten unseres Landes gesehen, erlebt und schätzen gelernt.

In Bern haben sich unsere Wege getrennt, befriedigt und müde lasse ich mich in den Sitz fallen. Gut gemacht beim Einsteigen. Es ist mir tatsächlich gelungen, den Einzelplatz bei der Türe zu ergattern. So kann ich meine Seele in Ruhe baumeln lassen.

Ruhe? Nicht ganz, denn ich bin in einem Wagon gelandet, in dem eine Gruppe von etwa 20 Männern ihr Wochenenderlebnis ausklingen lässt. Ich merke es schnell, überlege mir kurz einen Wagonwechsel. Nein der Bernerzug wird mir keinen besseren Platz bieten können. Lautes Männergelächter aus mehrstimmigen Kehlen gibt gleich den Tarif in diesem Wagon durch. Macht nichts, ich höre gerne aus der Ferne anderen Gesprächen zu – für mich ist das ein Erschliessen anderer Welten. Die Männergruppe macht es mir leicht. In voller Lautstärke erzählen sie von der durchzechten Nacht, sie spötteln, nehmen sich gegenseitig auf die Schippe, lachen und grölen. Ein Wort gibt das andere. Es ist erstaunlich, wie viel Raum eine Horde von Männern einnehmen kann. Ihre manchmal witzigen Sprüche scheinen nicht nur an ihre Gruppe, sondern gleich an den ganzen Wagon gerichtet zu sein. Immer wieder drehen Leute ihre Köpfe, manche anerkennend lachend, andere eher gestört.

Für mich ist das eigentlich kein Problem. Ich ärgere mich nur über zum Teil allzu sexistischen und blöden Sprüche, oder ich ärgere mich über zu vereinfachte Lebensweisheiten, welche lauthals preisgegeben werden. Was sicher ist, die Männer fühlen sich in ihrer Gruppe wohl und aufgehoben und sie haben ein Gaudi miteinander. Mir gefällt eigentlich solcher Ausdruck von Freundschaft und Lebensfreude.

Bald kommt auch noch Musik dazu – nicht meine Musik, aber doch Musik. Verkehrte Welt, denn es ist gut möglich, dass ich in diesem Zug allmählich einer der einzigen bin, der sich an dieser Produziererei stört.

Das ungehemmte Auftreten dieses Jodlerclubs beginnt mich allmählich zu nerven. Wieso erhalten sie für ihre Jodellieder Applaus, die Jugendlichen mit ihrer Musik aber nur böse Blicke? Wieso finden ihre dummen Sprüche Anerkennung, solche von Jugendlichen jedoch nicht? Warum ist die hier zu Schau getragene Lebenshaltung erwünschter als diejenige von Jugendlichen? Immer mehr quält mich die Frage, von welcher Schweiz dieser Verein dem ganzen Zug eigentlich erzählen möchte. Ich habe eine schöne Schweiz erlebt, aber es braucht eindeutig mehr Aufmunterung für die wachsende, zukünftige Schweiz.

 


Christoph Baumann,
30.7.2015, 114. Jahrgang, Nr. 211.

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